Kryson 05 - Das Buch der Macht
»Greift euch den Lesvaraq und bringt ihn in euer Reich!«
Die Schatten folgten Nalkaars Befehlen nicht. Flüsternde Stimmen zischten wütend durcheinander.
»Er ist der Sohn des Feuers«, fauchten sie aufgebracht, »er vernichtet uns. Wir dürfen ihn nicht berühren und dulden ihn nicht in unserem Reich.«
»Verdammt sollt ihr sein!«, fluchte Nalkaar lautstark.
»Lasst uns frei und schickt uns wieder zurück«, flehten die Schatten, »sein Anblick schmerzt uns.«
»Hört auf zu spielen«, wandte sich Nalkaar an Madsick.
Sichtbar erleichtert nahm Madsick die Flöte von den Lippen. Sofort verebbte der Sturm und die Schatten zogen sich rasch zurück. Als der letzte Schatten geflüchtet war, verschwanden auch der Nebel und das Portal.
Tomal lachte triumphierend, als er den vor Wut tobenden Todsänger beobachtete. Der Wirbelsturm hatte den Rachuren erhebliche Verluste eingebracht.
»Ich werde um Eure Seele singen, Lesvaraq«, drohte der Todsänger, während er seine Phiole aus dem Kapuzenmantel holte und öffnete.
»Nur zu«, lächelte Tomal, der sich seiner Überlegenheit sicherwar, »versucht Euer Glück. Ich habe Euch gezeigt, wie es enden wird.«
Nalkaar zögerte und ließ die bereits an seine Lippen angesetzte Phiole wieder sinken. Er wirkte unsicher auf Tomal. Zweifelte Nalkaar an der Macht seiner eigenen Komposition?
Aus dem Augenwinkel sah Tomal, wie Madhrab vom Rücken seines Streitrosses stieg. Der Bewahrer des Nordens hatte sich während des Sturms nicht geregt, sondern still und gelassen auf den Ausgang der Auseinandersetzung gewartet.
Jetzt kletterte Madhrab auf den Felsen, auf dem Tomal auf ihn gewartet hatte. Als er oben angelangt war, nahm er Solatar von seinem Rücken und wickelte das Blutschwert in aller Ruhe vor den Augen des Lesvaraq aus. Auf diese Begegnung mit seinem Vater hatte Tomal gewartet. Endlich war es so weit und er hatte kein schlechtes Gewissen, Madhrab in einen Kampf zu verwickeln. Vater gegen Sohn. Der Regent war ein Todsänger. Seinen Vater in diesem Zustand in den Tod zu schicken würde ihm leichtfallen.
»Nicht, Madhrab!«, wollte Nalkaar den Bewahrer warnen. »Der Lesvaraq wird Euch töten.«
»Habt Ihr mir nicht die Unsterblichkeit geschenkt?«, erwiderte Madhrab finster, ohne sich nach dem Todsänger umzudrehen.
»Was tot ist, kann nicht noch einmal getötet werden, das ist wahr. Aber der Lesvaraq kann Euren Geist vernichten und Euch zu einer hilflosen, tumben Kreatur des Schreckens werden lassen! Ihr verschwindet im Nichts, während Euer untoter Körper verrottet. Ihr müsstet hungrig und ruhelos über Ell wandeln, ohne Euren Hunger jemals stillen zu können. Denn ihr werdet nicht mehr singen können, um Seelen hervorzulocken und an Euch zu binden.«
»Was kümmert mich das, wenn mein Geist vergangen ist?«, brummte Madhrab.
»Ihr könnt Euch noch nicht vorstellen, wie es ist, langsam zu vergehen und nach Seelen zu hungern. Ihr werdet keine Ruhe finden und schreckliche Qualen erleiden«, warnte Nalkaar eindringlich.
»Ich tue, was ich tun muss, und stelle mich ihm. Das mache ich für Euch und das ist es, was Tomal will. Geht und lasst mich mit ihm allein, Herr«, antwortete Madhrab, »bringt Euch und die übrigen Todsänger in Sicherheit. Der Lesvaraq ist noch zu stark für Euch.«
Nalkaar sammelte die Todsänger um sich und gab seine Anweisungen für den Abmarsch aus. Tomal lächelte in Erwartung des Kommenden. Der Todsänger fühlte sich wohl noch nicht dazu bereit, nach seinen Erlebnissen mit den Schatten die direkte Konfrontation mit dem Lesvaraq zu suchen. Das war gut, denn Tomal war sich keineswegs sicher, ob er dem Gesang der Todsänger hätte widerstehen können.
»Geht mit Nalkaar«, sagte Madhrab zu den Zwillingen Foljatin und Hardrab.
»Aber …«, begehrten die Söhne Gwantharabs gleichzeitig auf.
»Geht! Dies ist eine Sache zwischen Vater und Sohn«, unterbrach Madhrab die Zwillinge.
Der Tonfall Madhrabs ließ keine Widerrede zu. Die Zwillinge nickten, wendeten ihre Pferde und schlossen sich Nalkaar an. Von ihm nahmen sie ihre Befehle für den Rückzug und das Einsammeln der durch den Sturm versprengten Truppen entgegen und überließen ihren Herrn seinem Schicksal. Madhrab sah ihnen nicht nach, als sie sich entfernten.
Tomal ließ seinem Vater Zeit, das Blutschwert auszupacken. Nun hatte es der Lesvaraq nicht mehr eilig. Madhrab war die Anstrengung anzusehen, als er das Schwert mit beiden Händen hob und gegen Tomal richtete.
»Ihr habt mich
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