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Kryson 06 - Tag und Nacht

Kryson 06 - Tag und Nacht

Titel: Kryson 06 - Tag und Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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hatte.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte der Hüter.
    »Leer … unbedeutend«, flüsterte Madhrab.
    »Die Essenz wirkt. Das ist ein gutes Zeichen. Die Leere wird bald vergehen und du wirst wieder an Bedeutung gewinnen. Deine verbundene Seele wird dir helfen, den richtigen Weg zu finden«, meinte der Hüter. »Solltest du allerdings Schatten sehen oder dich an irgendetwas anderes aus deinem Leben erinnern, musst du zu mir kommen. Du darfst deine Erinnerungen nicht verschweigen und nicht zögern. Ich helfe dir beim Vergessen.«
    Elischa packte Madhrab an der Hand und zog ihn mit sich fort. Für eine Weile durchstreiften sie Hand in Hand das Land der Tränen. Sie blieben jedoch immer in Sichtweite des Farghlafat. Sich weiter vom Baum des Lebens zu entfernen, wäre ein zu großes Wagnis für Madhrab gewesen. Sollte er sich wieder erinnern, musste er Farghlafat und den Hüter schnell erreichen.
    Bei Hereinbrechen der Nacht begaben sie sich in den Schutz des Baumes und legten sich neben seine sanft vibrierenden und dunkel brummenden Wurzeln. Sie schliefen in der Obhut des Baumes und fühlten sich in seiner Nähe sicher.
»Ihr könntet überall im Land der Tränen schlafen
«, hatte der Hüter vorgeschlagen,
»die Magie des Baumes und sein Schutz wirken weit über das Ende seiner Äste und Zweige hinaus.«
Doch Madhrab und Elischa hatten davon nichts hören wollen. Der Hüter ließ sich aufgrund von Madhrabs bedrohlichem Zustand dazu überreden, dass sie ihr Nachtlager unter dem Baum aufschlagen durften.
    Von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, standen die beiden verbundenen Seelen auf und begaben sich erneut auf Entdeckungsreise durch das Land der Tränen.
    An diesem Morgen jedoch fiel ihnen das Aufstehen schwer. Die Sonne hatte sie nicht geweckt, stattdessen war der Himmel mit schweren Wolken verhangen. Es begann – zur Überraschung Madhrabs – zu regnen. Der Regen fühlte sich auf der Haut warm an. Madhrab leckte einige Tropfen von seiner Handfläche.
    »Der Regen schmeckt salzig«, stellte Madhrab fest, »was ist das?«
    »Das sind Tränen. Die Glücklichen, Freudigen, Trauernden und Verzweifelten weinen um ihre Siege oder Verluste«, erklärte Elischa.
    »Das müssen aber sehr viele sein«, antwortete Madhrab, »es regnet in Sturzbächen und ein Ende ist nicht in Sicht.«
    »Komm, wir gehen zurück zum Baum«, schlug Elischa vor, »unter seinem Blätterdach werden wir nicht nass.«
    Als sie beim Baum des Lebens eintrafen, hatte der Regen bereits wieder aufgehört und die Sonne zeigte sich hinter den Wolken. Madhrab und Elischa wurden erwartet. Der Geist des Baumes schien ungeduldig und lief einmal um den Baumstamm herum, bevor er direkt und nah vor Elischa und Madhrab stehen blieb und die verbundenen Seelen traurig anblickte.
    »Wie gut, dass Ihr beide gekommen seid«, sagte der Hüter, »ich hätte Euch bald gerufen.«
    »Was gibt es? Was willst du von uns?«, fragte Madhrab.
    »Ich hätte dich höflicher eingeschätzt. Du hingegen erweist dich mir gegenüber als schroff und abweisend. Aber das ist ohne Bedeutung. Im Land der Tränen verletzen die Worte einer Seele niemals die einer anderen Seele.«
    »Es tut mir leid … ich wollte nicht …«, antwortete Madhrab betrübt.
    Er starrte beschämt auf den Boden, der mit verwelkten Blättern bedeckt war. Ihre Schritte raschelten im Laub.
    »Die Zeit ist gekommen«, sagte der Geist des Baumes, ohne sich weiter um Madhrab zu kümmern.
    »Ich verstehe nicht«, meinte Madhrab, »was meinst du damit?«
    »Eure Wege trennen sich wieder«, meinte der Hüter.
    »Aber wir gehören zusammen. Für immer!«, sagte Elischa. »Wir haben uns endlich im Land der Tränen gefunden. Warum sollen sich unsere Wege nun wieder trennen?«
    Der Hüter wandte sich Elischa zu.
    »Ich weiß wohl, dass ich Euch selbst zusammengeführt habe. Aber deine Seele hat sich längst erholt. Du bist so weit, ein neues Leben auf Kryson zu beginnen. Du musst dich von ihm lösen. Deine Wiedergeburt steht unmittelbar bevor. Der Baum hat dich gerufen und schickt dich zurück ins Leben. Ist das nicht schön?«
    »Nein«, rief Elischa, während sie sich an Madhrab klammerte, »ich gehe nicht ohne ihn. Unsere Seelen sind untrennbar miteinander verbunden. Es könnte ewig dauern, bis ich wieder zurückkomme und wir uns wiederfinden.«
    »Keine Sorge, wenn alles gut geht, wird es im Land der Tränen nur einen Augenblick dauern. Er wird vergessen, dass du überhaupt weg warst, und du ebenso.«
    »Ich will aber nicht

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