Kryson 06 - Tag und Nacht
sofort in ihren privaten Gemächern empfangen, nachdem er den Palast betreten und um eine Unterredung gebeten hatte.
»Tarratar! Welche Ehre«, begrüßte die Fürstin den Narren, »was führt Euch dieses Mal zu mir in den eisigen Norden? Es ist noch nicht viel Zeit vergangen seit ich Euch den Schlüssel zur Macht ausgehändigt habe. Aber ich freue mich natürlich, Euch zu sehen. Ihr wisst, wie sehr ich Eure Gesellschaft vermisse, wenn Ihr nicht bei mir seid.«
»Hoi, hoi, hoi … meine edle, schöne Fürstin«, antwortete der Narr und ließ die Glöckchen an seiner Kappe hell erklingen, »Eure Worte wärmen mein Herz. Einen solch wundervollen Empfang habe ich nicht verdient. Es tut gut, Euch wohlauf zu sehen. Leider ist der Anlass meines Besuches wenig erfreulich.«
Die Fürstin wurde sehr ernst. Angespannt richtete sie sich in ihrem Sessel auf und blickte den Narren erwartungsvoll an. Der Narr sprach Gefahren und Schwierigkeiten stets unverblümt an. Und wenn er sagte, sein Besuch sei nicht erfreulich, dann war das genug, ihre Neugier und volle Aufmerksamkeit zu wecken.
»Was ist los, Tarratar?«, fragte sie. »Spannt mich bitte nicht auf die Folter.«
»Das hatte ich nicht vor«, meinte der erste Wächter, »ich möchte, dass Ihr Eisbergen verlasst und zwar so schnell wie möglich.«
»Weshalb sollte ich Eisbergen verlassen?«, wollte Alvara wissen. »Die Klan vertrauen meiner Führung. Der Eispalast und diese Stadt sind mein Heim. Ich bin die Fürstin des Hauses Alchovi. Das Erbe meines verstorbenen Gemahls lastet zwar schwer auf meinen Schultern, aber ich habe es im Lauf der Sonnenwenden und trotz der Einsamkeit und Kälte in meinem Herzen auch ohne ihn geschafft, den Eisbergenern das zu geben, was sie von ihrem Fürstenhaus erwarten und brauchen. Eisbergen geht es gut. Der Handel blüht. Wir haben die Stadt wiederaufgebaut, nachdem sie beinahe zur Hälfte zerstört worden war. Die Nno-bei-Klan von Eisbergen aus zu führen, für ihr Wohl zu sorgen, sie zu schützen und Gerechtigkeit walten zu lassen, ist meine erste Pflicht. Eisbergen will meine Führung. Ich würde sie enttäuschen, wenn ich ginge.«
»Das Eis wird schmelzen«, sagte Tarratar frei heraus, »bald wird es weder das ewige Eis noch Eisbergen oder Euren Palast geben. Das Ende ist nah.«
»Das wäre eine furchtbare Katastrophe. Ich müsste ganz Eisbergen warnen und in Sicherheit bringen lassen. Aber wie kommt Ihr darauf?«, fragte Alvara überrascht. »Es gibt keinerlei Anzeichen einer Erwärmung. Der letzte Winter war härter und frostiger denn je. Das Eis blieb stark und dick. Es hat sich sogar eine neue Schicht gebildet.«
»Das mag sein«, entgegnete Tarratar, »aber Eis schmilzt schneller als Stein. Es wird nicht allzu lange dauern. Und was die Anzeichen für das nahende Ende angeht, habt Ihr gewiss schon vom Schicksal der Ordenshäuser gehört.«
»Ehrlich gesagt, nein«, sagte Alvara.
»Nun … dann sind die Boten wohl noch nicht eingetroffen«, meinte Tarratar. »Flieht, Alvara. Das ist die einzige Möglichkeit, der Katastrophe zu entkommen.«
»Und wohin soll ich Eurer Meinung nach mit meinem Volk und den Eiskriegern gehen?«, fragte Alvara. »Etwa in den Süden über das Riesengebirge? Wie stellt Ihr Euch das vor? Wer wird uns aufnehmen und in seinen Ländereien siedeln lassen. Das wäre in der Tat unser Ende.«
Tarratar schüttelte den Kopf. Die Glöckchen seiner Kappe klingelten erneut, aber nur sehr leise. Alvara war schwer zu überzeugen. Was durfte er ihr erzählen? Der Narr wollte nicht, dass ganz Eisbergen sein Heil in der Flucht suchte. Aber er verstand auch, dass die Fürstin ihr Volk nicht einfach im Stich lassen konnte. Er sah sie lange grübelnd an.
»Ich hatte mir für Euch einen anderen Kontinent als neues Zuhause vorgestellt. Fee lautet der Name des magischen Kontinents. Dort wärt Ihr in Sicherheit«, sagte der Narr schließlich.
»Ihr macht wohl Späße, Tarratar«, erwiderte Alvara, »gibt es diesen sagenumwobenen Kontinent überhaupt? Hat ihn je ein Klan erreicht oder entdeckt? Ich habe nur Gerüchte und Märchen davon gehört.«
»Es gibt ihn«, antwortete Tarratar, »ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Er ist sehr viel größer und völlig anders als Ell. Und er ist magisch und faszinierend. Ich weiß, dass Ihr Euch dort wohlfühlen würdet.«
»Ach Tarratar, ich bin nicht auf Abenteuer aus. Seht mich an! Ich bin nicht mehr die Jüngste und ich weiß genau, wohin ich gehöre. Ich bleibe und werde
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