Kryson 06 - Tag und Nacht
wie Corusal zu den Schatten gehen, sobald mein Ende gekommen ist. Das ist der Lauf des Lebens und des Gleichgewichts, Tarratar. Weshalb sollte ich das ändern wollen?«
»Verzeiht«, erwiderte Tarratar händeringend, »aber Ihr seht blendend aus. Ich bitte Euch, ich flehe Euch an … Ihr müsst mir vertrauen und Eisbergen verlassen. Ihr könnt noch viele wunderbare Sonnenwenden auf Fee verbringen.«
»Nein«, lehnte Alvara mit einer Bestimmtheit ab, die keinen Widerspruch mehr zuließ, »Ihr könnt dieses Fee mit den schönsten Farben, Bildern und Geschichten für mich ausmalen. Ich werde Eisbergen niemals verlassen. Unsere Unterredung ist beendet. Wir sehen uns beim Essen. Es gibt frischen, rohen Eisfisch. Ihr werdet dieses Thema nicht wieder vor mir ansprechen. Ich nehme an, Ihr wollt mir nicht bis zum Essen Gesellschaft leisten. Nein? Ihr dürft gehen.«
Tarratar stand auf, verbeugte sich und verließ die Gemächer der Fürstin wortlos, wobei er bis zur Tür rückwärts ging. So hatte er Alvara selten erlebt. Er war verärgert. Auch wenn er mit seinem Vorschlag bei Alvara auf wenig Gegenliebe gestoßen war, wusste der Narr nun, was er zu tun hatte. Er würde nicht so schnell aufgeben. Alvara war ihm ans Herz gewachsen. Sie zu verlieren, würde ihn schmerzen, mehr als er sich im Augenblick eingestehen wollte.
Der Weg von Alvaras Gemächern zu seiner Gästekammer war kurz. Er schlitterte über den Eisboden, bog einmal um eine Ecke und stand vor der Tür, die zu seiner Kammer führte. Als er die Tür öffnete, entdeckte er sofort das seltsame Tier, das auf seinem Tisch saß und auf ihn gewartet hatte.
»Hoi, hoi, hoi … sieh an, sieh an«, sagte der Narr lächelnd, »wer hat dich hässliches Ding denn zu mir geschickt? Das kann doch nur Grenwin gewesen sein.«
Der Narr betrat die Kammer, schloss die Tür hinter sich und ging zum Tisch, wo er das geflügelte Spinnentier auf seine Hand krabbeln ließ.
»Es ist ganz schön kalt hier im Eispalast, nicht wahr?«, sagte Tarratar, während er das Wesen beobachtete, wie es sich mit steifen Gliedern langsam bewegte. Er hauchte seinen warmen Atem auf den dicken Körper, was sofort Wirkung zeigte. Das Spinnentier krabbelte schneller.
»Nun? Was gibt es aus Kartak zu berichten?«, fragte Tarratar das Wesen.
Das Spinnentier wisperte in hellen, piepsenden Tönen. Tarratar konnte die Worte verstehen, die für die meisten anderen Wesen völlig unverständlich und viel zu hoch waren. Grenwins Botschaft überraschte den Narren nicht sonderlich. Er hatte damit gerechnet, dass sich die Streiter bereits auf den Weg gemacht hatten und Sapius erfolgreich war.
»Fliege zurück nach Kartak und sag deinem Vater, er soll sich gedulden und seinen riesigen Raupenhunger an anderen Leckerbissen stillen. Es ist noch Zeit. Die Streiter haben auf ihrem Weg noch manche Prüfung zu bestehen. Ich werde aber schon bald nach Kartak kommen«, trug er dem Wesen zur Antwort an Grenwin auf. Das Wesen piepste noch einmal, schlug wild mit den Flügeln und verschwand durch das offene Fenster.
Tarratar warf sich seufzend auf das Lager und dachte daran, was er tun konnte, damit Alvara den Eispalast und Eisbergen Richtung Fee verlassen würde. Es gab nur eine Möglichkeit. Er musste ihren Leibwächter Baylhard davon überzeugen, Alvara in Sicherheit zu bringen. Der Anführer der Eiskrieger war ein beinharter Mann und für das Leben der Fürstin verantwortlich. Alvaras Pflichten durften ihn an der Erfüllung seiner Aufgabe nicht hindern. Notfalls musste er sie mit Gewalt in Sicherheit bringen. Tarratar lächelte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Baylhard ablehnen würde. Es musste dem Narren nur gelingen, ihm die Bedrohung vor Augen zu führen.
Die Idee war gut und Baylhard wäre darüber hinaus ein starker Weggefährte, der die Fürstin auf der Flucht beschützen konnte. Diesem ehemaligen Moldawarjäger traute er – mit seiner Unterstützung und dem einen oder anderen nützlichen magischen Gegenstand – zu, Fee auf dem Seeweg sicher zu erreichen und den vielen Gefahren trotzen zu können.
Tarratar nahm sich vor, nach dem gemeinsamen Essen mit dem Eiskrieger zu sprechen.
*
Bis an den südöstlichen Waldrand waren Baijosto und Belrod vom Rudel der Baumwölfe begleitet worden. Der Naiki-Jäger hatte Belrod zuliebe darauf verzichtet, in der Gestalt des Krolak über die Baumwipfel zu jagen. Stattdessen waren sie wie zu alten Zeiten durch den Wald gerannt, hatten sich durch Dickicht und Gestrüpp
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