Kryson 06 - Tag und Nacht
hatte einen schweren Kopf und ihm war übel.
»Das letzte Bräu muss wohl schlecht gewesen sein«
, redete sich der Magier ein.
Saykaras Dienerinnen halfen ihm beim Ankleiden und brachten ihm einen dampfenden Becher
Morgenruf
, nach dem er sofort verlangt hatte. Er merkte, dass ihn die Dienerinnen zur Eile drängten. Aber es fiel ihm schwer, sich schneller zu bewegen. Er kam sich alt, matt und langsam vor.
»Die Königin erwartet Euch bereits«, sagte Lyara, »wir müssen uns beeilen. Saykara kann sehr ungeduldig werden.«
»Schon gut«, sagte Sapius, »ich gebe mein Bestes.«
»Die Kristalle wurden bereits mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages aufgeladen«, erklärte ihm Zyola, »noch sind sie stark und hell. Je länger wir warten, desto schwächer werden sie.«
»Ich bin fertig. Lasst uns gehen«, gab Sapius dem Drängen nach.
Nach einem kurzen Marsch durch den Palast vorbei an vielen Mosaiken und Gemälden, die die Königin in allen erdenklichen Posen zeigten, gelangten sie zu Saykaras Thron und der Statue des ersten Kriegers. Die Königin lief ungeduldig auf und ab. Eine hagere Frau in einem grauen, mit roten und goldenen Stickereien verzierten Gewand prüfte Gahaads Statue, das Herz und Gehirn des Kriegers. Sie nickte und flüsterte der Königin etwas zu, wirkte aber zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Untersuchungen. Rings um die Statue herum waren kreisförmig mehrere Kristalle angeordnet, die hell und golden erstrahlten. Das Licht blendete Sapius.
»Wie Sonnenlicht«
, dachte er bei sich.
»Da seid Ihr endlich«, fauchte Saykara den Magier an, »das hat ewig gedauert. Ich kann es nicht ausstehen zu warten. Wir müssen beginnen und das Licht der Kristalle nutzen. Die Priesterin hat ihre Vorbereitungen für das Ritual bereits abgeschlossen. Wir öffnen das Portal. Seid Ihr bereit?«
Sapius räusperte sich und lächelte verlegen, dann nickte er der Königin zu, um ihr seine Bereitschaft zu zeigen. Inzwischen war er hellwach und die Kopfschmerzen waren verflogen. Er nahm an, Saykara würde die Schatten rufen. Ihm war nicht wohl bei der Vorstellung, hatte er sich doch vorgenommen, in Zukunft Schattenbeschwörungen zu vermeiden. Er hoffte darauf, dass es ihm erspart blieb, die Königin zu unterstützen, und dass sich die Schatten ihm gegenüber zurückhielten, sollten sie aus ihrem Reich in den Palast der Nno-bei-Maya kommen.
Die Priesterin begann auf Geheiß der Königin in einer ungewöhnlich tiefen Stimme zu singen. Aus ihrer Kehle kamen fremde und unheimliche Töne und Klänge. Während sie ihren Gesang anstimmte, schienen die Kristalle noch heller zu leuchten. Die Musik der Priesterin war mit nichts vergleichbar, was Sapius kannte.
»Scheinbar hat jedes Volk und jeder Schattenbeschwörer seine ganz eigene Methode, die Schatten zu rufen und ein Tor in das Reich der Schatten zu öffnen«
, dachte Sapius.
Er hatte in seinem Leben schon einige Schattenbeschwörer kennengelernt. Nalkaars Gesang hatte ihn bislang am meisten beeindruckt. Jedenfalls kannte er keinen anderen, dessen Gesang solch verheerende Wirkungen hervorrief.
Diese Gefahr sah er im Gesang der Priesterin überhaupt nicht. Die Musik war nicht schön, traurig und nicht annähernd so bewegend wie die Nalkaars. Sie war im Grunde abscheulich, aber Sapius wagte es nicht, sich die Ohren zuzuhalten.
Die Priesterin war – unter den strengen Augen ihrer Königin – dazu übergangen, sich tanzend und mit zuckenden Bewegungen um die Statue zu bewegen. Sie erinnerte ihn an einen Laufvogel.
Als die Priesterin die Statue zum zehnten Mal umrundet hatte, sprach Saykara Worte in der alten Sprache, die dem Magier unbekannt waren.
Vor Sapius’ Augen, in unmittelbarer Nähe der Statue, öffnete sich plötzlich ein Portal in das Reich der Schatten. Der Magier konnte durch das pulsierende Licht hindurchsehen und erkennen, dass sich bereits eine Schar Schatten dahinter versammelt hatte. Aber sie blieben, wo sie waren und gingen nicht hindurch.
»Wollt Ihr durch das Portal in das Reich der Schatten gehen?«, fragte ihn Saykara. »Ich halte es offen, bis Gahaad zurückkommt. Ihr könntet Euch dort umsehen und alte Freunde besuchen.«
»Nein«, sagte Sapius, »das ist keine Welt, die ich erkunden muss. Es ist die Welt der Toten, die nichts mit den Lebenden zu tun haben sollte.«
»Ihr seid kein bisschen neugierig?«
»Nein«, antwortete Sapius deutlich.
»Ich lebte dort mehr als fünftausend Sonnenwenden mit meinem Volk.«
»Ich weiß«, meinte Sapius,
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