Kryson 06 - Tag und Nacht
»aber es hat Euch nicht gefallen, sonst wärt Ihr nicht zurückgekommen.«
»Das stimmt«, musste Saykara zugeben, »jeder Tag im Reich der Schatten war ein verlorener Tag für mich und mein Volk. Aber sobald Gahaad zurück ist, werde ich mir alles wiederholen, was mir gestohlen wurde. Jede Sardas in den Schatten werden mir die Klan dreifach bezahlen.«
»Ihr sinnt auf Rache gegen die Klan wegen Ulljans Unrecht an Euch und Eurem Volk?«, fragte Sapius verwundert.
»Nein«, meinte Saykara, »Ulljans Taten können nicht mehr bestraft werden. Er ist Geschichte. Ulljan ist schon seit langer Zeit tot. Aber die Klan haben uns noch mehr genommen. Sie stahlen unser Land, bekämpften und verdrängten uns. Sie nahmen uns unsere Macht und verdammten uns zur Bedeutungslosigkeit, bis wir endlich Zuflucht auf Kartak fanden. Doch selbst in unserem sicher geglaubten Versteck im Inneren des Vulkans ließen sie uns nicht in Ruhe. Wir schufen die magische Barriere und ließen die Eingänge nach Zehyr bewachen. Bis sie uns Ulljan schickten, der uns in die Schatten verbannte. Ich werde ihre Hauptstadt einnehmen und die Nno-bei-Klan vernichten.«
»Denkt Ihr nicht, Ihr geht zu weit? Die Nno-bei-Klan mussten sich zuletzt mit vielen Eroberern herumschlagen, die so denken wie Ihr.«
»Keineswegs«, lächelte Saykara ihr kaltes Lächeln, »die Klan können nicht wiedergutmachen, was sie uns einst genommen haben. Ihre Zeit ist abgelaufen. Die Zeit wird uns niemand mehr zurückgeben können, es sei denn … jemand würde ein ganz bestimmtes Buch finden.«
»Das Buch der Macht?«
»Erstaunlich, wie schnell Ihr darauf gekommen seid – oder könnt Ihr etwa Gedanken lesen, Sapius?«
»Manchmal gelingt es mir sogar, in die Köpfe anderer zu blicken«, räumte Sapius ein, »so sie es denn zulassen. Aber das hat mehr mit Erfahrung und der Kenntnis anderer Wesen als mit Gedankenlesen zu tun. Mit den Drachen kann ich in Gedanken sprechen.«
»Ihr seid auf der Suche nach dem Buch der Macht«, sagte die Königin.
»Woher wollt Ihr das wissen?«
»Ich sehe es Euch an Eurer Nase an, Sapius«, spottete Saykara. »Aber nein … ich habe mit Tomal gesprochen. Der Lesvaraq hat mir alles erzählt. Ihr wisst, dass Ihr mir das Buch aushändigen müsst, sobald Ihr es gefunden habt. Es gehört mir. Alles auf Kartak gehört der Königin der Nno-bei-Maya. Hätte ich gewusst, dass sich das Buch in unmittelbarer Nähe befindet, hätte ich keine Mühen gescheut, es zu finden. Aber ich wusste es nicht. Niemand meines Volkes wusste davon.«
Saykara wies die Priesterin an, einige besonders hell leuchtende Kristalle durch das Portal zu werfen.
»Gahaad müsste das Licht der Kristalle bis in die tiefsten Ebenen des Nebellandes sehen können. Ich hoffe, er versteht die Zeichen, die wir ihm schicken.«
Die kriegerischen Absichten der Königin gefielen Sapius überhaupt nicht. Er dachte, dass es ein Fehler war, ihr das Herz und Gehirn ihres Kriegers zurückzubringen. Die Klan hatten zuletzt viel über sich ergehen lassen müssen. Eine Eroberung und Vernichtung durch die Hand der Nno-bei-Maya hatten sie nicht verdient. Er glaubte allerdings nicht daran, dass die Nno-bei-Maya das in die Tat umsetzen konnten. Sie waren nicht stark genug, die Nno-bei-Klan zu unterjochen. Jedenfalls nicht ohne die Hilfe eines Lesvaraq. War es das, was die Königin von Tomal wollte? Sollte er das Buch für die Rachepläne der Königin einsetzen? Noch ein Grund für Sapius, weshalb Tomal das Buch der Macht nicht bekommen durfte.
*
Das Licht der Kristalle durchdrang das Reich der Schatten, wie einzelne Sonnenstrahlen durch das dichte Laub der Baumkronen eines Waldes bis zum Boden fielen. Dort wo die Lichtstrahlen das Grau durchdrangen, zogen sich die Schatten ängstlich kreischend zurück. Wurden sie von einem Lichtstrahl getroffen, lösten sie sich auf. Das Licht machte vor nichts halt, drang durch Türen, Schlitze, Spalten und Löcher. Es suchte sich seinen Weg durch das Reich der Schatten bis in das Land des Nebels, als würde es von Saykara bewusst dorthin gelenkt.
Murhab kauerte mit Gahaad und Kelamon in ihrem Versteck, starrte gedankenverloren aus der Höhle und entdeckte als Erster einen Lichtstrahl.
»Gahaad, Kelamon! Habt Ihr das Licht gesehen?«, rief er vor Freude. »Es kommt mir vor, als wäre es ein Sonnenstrahl.«
Die beiden Schatten sahen gelangweilt zu Murhab auf. Offensichtlich hielten sie ihn für verrückt. Im Reich der Schatten gab es kein Licht.
»Seht doch!«,
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