Kryson 06 - Tag und Nacht
Murhab, »wir können dir nicht helfen. Du wirst im Reich der Schatten bleiben müssen. Aber ich werde ein gutes Wort für dich einlegen. Vielleicht erweist sich die Schattenbeschwörerin als gnädig, setzt den Gesang aus und lässt dich noch durch das Portal gehen.«
»Ihr wolltet mehr für mich tun. Ich habe mein Versprechen gehalten«, fauchte Kelamon. »Lasst mich nicht hier zurück!«
Der Todsänger und der Schatten des ersten Kriegers hatten das Portal erreicht. Murhab sah sich noch einmal nach Kelamon um, bevor er das Portal durchschritt. Der Blick des Schattens war vernichtend.
»Das werdet Ihr eines Tages bereuen!«, rief Kelamon ihnen nach und drohte mit seiner geballten Schattenfaust. »Niemand bricht das Versprechen, das er einem Schatten gab! Ihr habt mich getäuscht.«
Murhab sah noch, wie die anderen Schatten Kelamon beipflichteten und zischend protestierten.
»Sollte ich eines Tages sterben und in das Reich der Schatten zurückkehren, werde ich keinen leichten Stand haben«
, dachte Murhab,
»aber was soll’s. Ich lande sowieso in den Flammen der Pein.«
Sein Versprechen Kelamon gegenüber, Saykara darum zu bitten, nach ihrer Rückkehr den Gesang auszusetzen und Kelamon durch das Portal zu lassen, wollte er allerdings einhalten. Sollte sich doch die Königin der Nno-bei-Maya um den kranken Geist Kelamon kümmern.
*
Sapius sah einen Schatten aus dem Portal springen, der sich auf die Statue stürzte, über sie legte und in ihr verschwand. Das dauerte nur einen Wimpernschlag. Kurz danach trat eine weitere Gestalt mit einem höchst eigenwilligen Kristallhelm aus dem Portal. Schwarz gekleidet glich sie einem Schatten, aber Sapius spürte sofort, dass es sich nicht um einen Schatten handelte. Er kannte das Gesicht. Aber er war sich sicher, dass es sich um einen Todsänger handelte. Davon durfte er sich jetzt nicht beeindrucken lassen. Das Ritual war noch nicht beendet.
Fasziniert sah Sapius, wie die Statue des ersten Kriegers langsam zum Leben erwachte. Es war ein beeindruckendes Schauspiel. Die Wiedergeburt eines lange verschollenen Mannes aus dem Reich der Schatten. Stein wandelte sich in Fleisch.
»Vargnar und Rodso hätten sich die Rückkehr des Kriegers ansehen sollen«
, dachte Sapius bei sich,
»vielleicht wären auch die Felsgeborenen in der Lage, sich mithilfe der Magie von einem steinernen Wesen in ein Geschöpf aus Fleisch und Blut zu wandeln. Aber wer weiß, ob sie das überhaupt wollen?«
Ausgehend vom Herzen Gahaads breitete sich das Pulsieren immer weiter in seinem Körper aus. Wunden verheilten, schlossen den geöffneten Brustkorb, die Schädeldecke bildete sich neu und legte sich wie eine schützende Hülle über das Gehirn. Die Augenlider öffneten sich. Gahaad rollte mit den Augen und versuchte, sich umzusehen. Aber der Rest seines Körpers war noch aus Stein. Die Veränderung setzte sich fort. Er öffnete seinen Mund und nahm einen tiefen Atemzug. Ein Schrei, der Sapius durch Mark und Bein ging. Es war ein Schmerzensschrei, der jedoch – der Magier war sich sicher – zugleich Freude und Befreiung ausdrückte.
Gahaad begann langsam und vorsichtig, seine Hände zu bewegen. Eine Steinkruste blätterte ab und brachte die Haut darunter zum Vorschein. Die Knie des ersten Kriegers zitterten. Er setzte einen Fuß vor und wieder zurück. Sein Brustkorb bewegte sich auf und ab. Der erste Krieger war zurückgekehrt. Er lebte.
Sapius hatte den Todsänger während Gahaads Wiedergeburt schon fast vergessen, als dieser laut räuspernd auf sich aufmerksam machte. Plötzlich fiel es dem Magier wieder ein. Das war Murhab, Jafdabhs Luftschiffkapitän. Der Kapitän der Aeras Tamar.
»Verzeiht«, sagte Murhab, »ich will mich nicht aufdrängen. Wir sind heil aus den Schatten zurück und wie ich sehe, wurde der erste Krieger wiedergeboren. Ich habe meinen Teil der Aufgabe erfüllt.«
Saykara machte einen abwesenden Eindruck. Sie hatte offensichtlich nur Augen für den ersten Krieger, der sich inzwischen vollständig gewandelt hatte.
»Ja … ja … gut«, sagte sie nur, »sehr gut.«
»Ich … ähm … nun … Ihr wolltet mich vom Fluch des Todsängers befreien«, meinte Murhab, »der Helm drückt und ich dachte wir könnten … vielleicht … gleich … nun … damit anfangen.«
»Ach so … ja«, antwortete Saykara gedankenverloren. »Gahaad, Geliebter! Du bist zurück. Endlich sind wir wieder vereint. Geht es dir gut?«
Sapius wagte sich vor und sprach den Todsänger an.
»Ihr seid
Weitere Kostenlose Bücher