Kryson 06 - Tag und Nacht
krank und falsch, Tomal«, belehrte der Narr den Lesvaraq, »Leben entsteht nur aus Leben und nicht aus dem Tod. Ich nehme an, Ihr kennt das Geheimnis, das alle haben wollen und doch nie verstehen werden.«
»Ja … ich kenne das Geheimnis des Lebens … aber bitte … Tarratar, Ihr müsst uns helfen. Ich sterbe sonst. Ist das nicht tragisch? Der Lesvaraq schlägt sich am Ende mit seinen Waffen selbst. Ich werde meine neue Welt nicht mehr vollenden können. Sie nicht einmal sehen. Ironie des Schicksals. Bitte … helft mir.«
»Nein, ich helfe Euch nicht. Ihr müsst Euch schon selbst helfen. Das Buch werdet Ihr nie wieder in den Händen halten. Ihr seid seiner nicht würdig.«
Tarratar blickte nach oben und sah, wie ein Drache in der Luft einen fallenden Körper auffing. Gerade noch im letzten Augenblick, sonst wäre der Körper in den mit Lava brodelnden Krater gestürzt.
»Hoi, hoi, hoi …«, applaudierte Tarratar bewundernd und wandte sich erneut an den Lesvaraq, »Sapius scheint mehr Glück zu haben als Ihr.«
»Der Magier … er ist schuld an allem. Wäre er mir treu geblieben, wäre es nicht so weit gekommen. Sapius ist schlecht. Tötet ihn für mich … ich … ich kann es nicht mehr selbst.«
»Ihr seid wirklich verrückt. Bis zum Schluss. Ihr wisst nicht einmal mehr, was richtig und was falsch ist. Schade. Aus Euch hätte ein guter und starker Lesvaraq werden können. Ihr hattet alle Voraussetzungen dazu. Aber Ihr habt Eure Gelegenheiten leichtfertig vertan und werdet nun als Zeichenträger mit dem kürzesten Zyklus und der größten Niederlage in die Geschichte Krysons eingehen. Ja, ich helfe Euch auf die Beine und lindere Eure Schmerzen, um das Gejammer nicht mehr hören zu müssen. Ich biete Euch gerade so viel Kraft an, damit Ihr Euch aufrecht auf den Beinen halten und Eurem Henker in die Augen sehen könnt. Ich hoffe, Ihr stürzt nicht sofort rückwärts in den Krater. Mehr bekommt Ihr allerdings nicht von mir.«
»Dann los, Tarratar, worauf wartet Ihr noch?«
Der Narr stand mit versteinerter Miene und verschränkten Armen über Tomal, als ob er diesen in einer Schlacht getötet hätte und nun den Einwohnern von Tut-El-Baya präsentieren musste. Aber sie waren tot, wie alle anderen, die in der Nähe der Stadt gewohnt hatten.
»Tarratar!«, verlangte der Lesvaraq stöhnend. »Was ist mit Euch, Ihr habt es mir doch angeboten?«
»Ein Wort. Mir fehlen ein Wort und eine Geste.«
»Was? Ich verstehe Euch nicht.«
»Ich diene Euch nicht«, brummte Tarratar, »wie lautet also das Wort, das ich hören will?«
»Bitte! Bitte, Tarratar. Ich habe solche Schmerzen und kann mich nicht mehr bewegen.«
»Das werdet Ihr auch nicht können, nachdem ich Euch geholfen habe. Ihr denkt wohl, lass den Narren nur machen. Ich gebe Euch Kraft und Ihr heilt Euch dann selbst. O nein, das braucht Ihr nicht zu versuchen. Euer Rückgrat ist gebrochen. Ich werde Euch aufrichten und dafür sorgen, dass Ihr stehen bleibt, und wenn ich Euch irgendwo festbinden muss. Ihr sollt Euren Feinden in die Augen sehen, wenn sie kommen, Euch zu richten.«
Der Narr packte den Lesvaraq und richtete ihn auf. Er strich ihm über die Verbrennungen, murmelte dabei unverständliche Worte und richtete einige gebrochene Knochen. Nachdem er das erledigt hatte, prüfte er, ob der Lesvaraq stehen blieb, wenn er ihn losließ. Tomal stand, schief und wankend zwar, aber er stand und blieb auch zitternd stehen, wie ihn Tarratar hingestellt hatte.
Tarratar blickte durch sich verziehende und umherwirbelnde Rauch- und Dampfschwaden die Hänge des Vulkans hinab und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse aus Schmerz, Verzweiflung und Grinsen. Hätte der Unsterbliche sich so in einem Spiegel gesehen, er wäre sofort vor Schreck gestorben.
»Ich sehe einen sehr interessanten Mann, der soeben versucht, die Wände des Vulkans zu erklimmen«, sagte der Narr.
»Wer ist es?« Tomal konnte seinen Kopf nicht bewegen und daher dem Blick des Narren nicht folgen.
»Ich schätze, Nalkaar will Euch ein Ständchen bringen. Der Todsänger wird Euch gleich besuchen kommen. Er sieht verärgert aus«, spottete Tarratar, »geradezu wütend. Ich glaube, er hatte schon lange vor, Eure Seele zu rauben. Seid Ihr für ihn bereit?«
»Wie könnte ich? Für Nalkaar und sein Gefolge ist niemand jemals bereit.«
»Er ist ganz allein«, stellte der Narr trocken fest, »Ihr seid ein Lesvaraq. Ihr werdet Euch doch nicht vor einem einzelnen Seelenfresser fürchten.«
»Schickt
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