Kryson 06 - Tag und Nacht
Drache landete unterhalb des Kraters, ließ Sapius von seinem Rücken rutschen und hob dann sofort wieder ab.
»Uns bleibt nur noch wenig Zeit, unser eigenes Leben zu retten«
, warnte der Drache den Magier,
»die Katastrophe können wir nicht mehr aufhalten. Wir müssen fliehen! Ich werde zu Vargnar fliegen und ihn bitten, sich in Sicherheit zu bringen.«
»Ich dachte, das bringt nichts mehr?«
»Mag sein, aber es beruhigt das Gewissen und macht dich glücklich.«
»Gut. Ich hoffe, er wird auf dich hören und findet eine Möglichkeit, die Felsgeborenen und sich zu retten. Hol mich ab, wenn es so weit ist und wir Ell endgültig den Rücken kehren müssen.«
Sapius wusste, er würde sich auf den Drachen verlassen können. Nachdem er das Gift aus seinem Körper geschwitzt hatte, hatte er wieder seine ursprüngliche Gestalt angenommen. Er war über und über mit Ruß und Asche überzogen.
Nalkaars Gesang drang an Sapius’ Ohren und rührte sofort sein Herz. Er hatte Glück, dass der Todsänger um die Seele des Lesvaraq sang und nicht um eine ganze Gruppe von Seelen oder die des Magiers selbst, sonst hätte ihn die Magie der Musik wesentlich stärker getroffen. Der Magier konnte zwar die Traurigkeit und Verzweiflung der Klänge am eigenen Leib spüren, sodass es ihm fast das Herz zerdrückte und er bitterlich weinen musste. Aber seine Seele wurde von Nalkaar nicht hervorgelockt.
Sapius wunderte sich, als er Tarratar am Kraterrand erblickte. Was wollte er noch? Er war es doch, der dem Lesvaraq das Buch überlassen hatte. War die Zerstörung am Ende nicht sogar Tarratars Werk? In Sapius’ Augen trug der Narr zumindest einen gehörigen Anteil der Schuld an der Katastrophe. Sie alle, die Streiter, die Klan und die Völker der Altvorderen hatten auf die eine oder andere Weise Schuld. Entweder sie hatten versagt, nicht eingegriffen oder sogar das Ende vorangetrieben. Es würde nicht lange dauern und sie würden die Schuld verdrängen, wie schon so viele Male zuvor. Doch dieses Mal war es anders. Sie würden sterben.
Der Narr hielt das Buch der Macht aufgeschlagen in den Händen und lauschte andächtig den Gesängen des Todsängers, während er immer wieder einen Blick auf den Lesvaraq warf, der sich unter den Klängen wand und vor Schmerzen, Trauer und Verzweiflung schrie.
Doch plötzlich geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Ein dunkler Schatten löste sich von Tomal. Nalkaar hörte sofort auf zu singen, schnellte wie eine Schlange auf sein Opfer zu und verschlang den Schatten, den er für Tomals Seele hielt.
Tarratar grinste breit. Der Narr winkte den Magier zu sich. Sapius folgte der Einladung und näherte sich der eigenwilligen Gruppe überaus mächtiger Männer, in der jeder von ihnen in der Lage gewesen wäre, eine Welt zu erschaffen oder sie zu zerstören. Ersteres war schwierig, während das Zweite zu seinem Bedauern viel zu leicht und schnell zu erreichen war, was Sapius und die vielen Opfer der Katastrophe soeben leidvoll erfahren mussten.
Nalkaar ließ einen schrillen Schrei ertönen und griff sich sofort an die Kehle. Es sah aus, als würde er sich selbst erwürgen.
»Was … was war das?«, krächzte Nalkaar erschrocken. »Helft mir … ich … kann nicht mehr singen … meine Stimme … mein Geist … was ist geschehen? Ihr … Ihr habt mich reingelegt.«
»Das war ein böser Geist«, meinte Tarratar, »Ihr habt Tomal durch Euren Gesang davon erlöst und ihn in Eurer Gier nach Seelen sogleich verschlungen.«
»Blyss … sein Name ist Blyss«, stöhnte Nalkaar, »er … er hat es mir gesagt. Er ist ein Gefäß des Bösen und wird mich vernichten.«
»Das wird er«, nickte Tarratar und ließ die Glöckchen an seiner Kappe leise erklingen, »er ist ein Geist und keine Seele. Seine Boshaftigkeit verträgt sich nicht mit der Euren oder der eines anderen Seelenfressers. Ihr werdet Euch gegenseitig vernichten. Das ist das Gesetz von Tag und Nacht.«
»Nein … nein … wie konntet Ihr mir das antun?« Nalkaar klang verzweifelt. »Meine Kunst … die Musik … alles vorbei. Niemand wird sich an die zauberhaften Klänge der Todsänger erinnern.«
»Hört auf zu jammern und nehmt es wie ein Mann, Nalkaar«, sagte Tarratar, »Euer Ende wäre sowieso bald gekommen. Jetzt könnt Ihr gemeinsam mit Eurem bösen Geist in den Flammen der Pein schmoren.«
»Aber ich … wollte einmal … wenigstens einmal eines meiner Ziele erreichen, bevor ich in die Flammen gehen und für immer Qualen erleiden muss«,
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