Kryson 06 - Tag und Nacht
schluchzte Nalkaar.
»Das ist allein Euer Problem, Todsänger«, meinte Tarratar, »Ihr habt genug Unheil angerichtet und dieses … dieses Gefäß hat auf Ell nichts verloren. Ihr befindet Euch also in bester Gesellschaft.«
Nalkaar schrie auf, brach zusammen, vergrub sein zerstörtes Gesicht unter seinem Gewand und bäumte sich noch ein letztes Mal auf, bevor er regungslos liegen blieb. Tarratar ging zu ihm hin und stieß den leblosen Körper mit dem Fuß an. Nalkaars Leib geriet ins Rutschen, kugelte den Abhang hinab und stürzte in einen Lavastrom, wo er sofort verglühte.
»Wir haben Tomals Seele gerettet«, sagte Tarratar erleichtert, »wenigstens etwas, das uns am Ende noch froh stimmen mag.«
»Reichlich wenig, wenn ich bedenke, wie viele Seelen verloren gehen«, erwiderte Sapius, »wir haben versagt.«
»Ja, das haben wir«, sagte Tarratar traurig, »das Gleichgewicht ist aus den Fugen geraten. Chaos regiert. Ell wird untergehen und mit ihm alles Leben.«
»Können wir denn gar nichts mehr dagegen tun?«, fragte Sapius leise.
»Nein, dagegen sind wir machtlos. Sobald die Sonne stirbt, wird die Katastrophe ihren Höhepunkt erreichen.«
»Und das Buch der Macht?«, wollte Sapius wissen. »Wäre das Buch nicht eine Lösung, das Schlimmste aufzuhalten?«
»Nicht mehr«, senkte Tarratar betroffen den Kopf, »das Buch vermag vieles, doch Tomal brachte es fertig und hat das Ende festgeschrieben. Lest selbst, wenn Ihr mir nicht glaubt!«
Der Narr hielt Sapius das aufgeschlagene Buch hin und Sapius las die Zeilen, die ihn unter der Ruß- und Ascheschicht in seinem Gesicht erbleichen ließen. Die Bilder des Grauens erschienen vor seinem inneren Auge, als würde er den Schrecken des Endes unmittelbar erleben. Er wollte das Buch zuschlagen und fliehen, konnte es jedoch nicht. Zu sehr hatten ihn die Worte in seinen Bann gezogen.
Das Unvorstellbare war eingetreten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Rucknawzor vollendet war.
*
Vargnar führte das Heer der Felsgeborenen an. König Saragar hatte ihm die Führung anvertraut, obwohl er es sich nicht hatte nehmen lassen, gemeinsam mit seinem Sohn in die letzte Schlacht zu ziehen. Eine Schlacht, die anders sein würde als alles, was sie erlebt hatten. Sie waren alle mitgekommen. Felsgeborene, Felsenfreunde und Eisprinzessinnen. Niemanden hatte es noch in der Burg der Felsgeborenen im Riesengebirge gehalten. Sie wussten, was ihnen bevorstand, und keiner wollte zurückstehen. Aber Vargnar wusste auch, sie würden jeden einzelnen – mit Ausnahme der Felsenfreunde und deren Appellen an ihre Vernunft – brauchen, bei dem was sie vorhatten.
Der Felsenprinz ritt an der Spitze einer langen Reihe von Golems und Kriegern. Auf sein Zeichen kam das Heer zum Stehen. Vargnar hatte den Drachen zuerst erblickt, als er sich den Felsgeborenen mit hoher Geschwindigkeit näherte und schließlich landete.
»Sapius schickt mich«
, sagte der Drache, ohne Zeit mit langen Begrüßungen zu verschwenden,
»Ihr kommt zu spät. Der Lesvaraq hat die Katastrophe bereits ins Rollen gebracht. Es gibt nichts mehr, wogegen Ihr kämpfen könntet. Das Ende steht unmittelbar bevor. Ihr sollt umkehren und Euch in Sicherheit bringen.«
»Nein«
, lehnte Vargnar ab, der mit dem Drachen wie auch mit Sapius und den Felsenfreunden nur in Gedanken sprach,
»wir werden zu Ende bringen, was wir angefangen haben.«
»Aber was wollt Ihr noch bewirken? Der Lesvaraq ist geschlagen und die Katastrophe steuert auf ihren unabänderlichen Höhepunkt zu.«
»Wir sind Felsgeborene, Drache«
, erklärte der Felsenprinz,
»geboren aus Stein und mit Fähigkeiten, die anderen Völkern fremd bleiben.
Selbst ein Drache wird nicht erreichen, wozu wir imstande sind. Dieser letzte Kampf um das Überleben gehört uns. Der Stein befindet sich bis in die tiefsten Tiefen Krysons in Aufruhr und verbindet sich in seinem Zorn zu einer heißen Masse geschmolzenen Gesteins. Wütend bricht sie aus dem Inneren Krysons hervor, lässt Vulkane entstehen und ergießt sich mit ihrem Feuer über Land und Meer. Tomal und das Buch haben den Stein aufgestachelt und die alles vernichtende Gewalt der glühenden Felsen gerufen. Rucknawzor ist das Ende allen uns bekannten Lebens. Alles verändert sich. Wir Felsgeborenen sind die Einzigen, die den Stein noch besänftigen und die Katastrophe, wenn auch nicht mehr verhindern, so vielleicht doch eindämmen können.«
»Gegen das Sterben der Sonne werdet auch Ihr machtlos sein«
, meinte
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