Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
will.«
Der Kellner schnurrte freundlich in seinen Schnurrbart. Wir bestellten Chartscho und dazu Rotwein. Es war Mittagszeit, auf Neurussisch »Businesslunch«, und das Restaurant fast leer. Außer uns saß nur ein Pärchen im Saal, ein Anzugträger mit einer Brünetten.
»Du kannst bestellen, was du willst«, sagte der Anzugträger laut zu seiner Begleiterin, was angesichts der sehr preiswerten Mittagskarte etwas lächerlich klang.
»Ach, ich weiß nicht so recht. Vielleicht trinke ich einen Kaffee.« Die Brünette blätterte lustlos in der Speisekarte.
Unser Chartscho kam auf den Tisch, er roch köstlich. Ich wusste von meinen früheren Begegnungen mit dieser Suppe, dass sie einem unter Umständen den Schweiß auf die Stirn treiben konnte. Bei uns in der Armee aßen die Georgier statt Brot Peperoni zum Frühstück, die sie kistenweise von zu Hause geschickt bekamen.
Der Anzugträger schielte zu uns herüber und rief dann dem Kellner zu: »Ist der Chartscho wirklich gut?«
»Ja, ist wirklich gut«, antwortete der Schnurrbart etwas genervt. »Ich war früher oft in Tiflis«, sagte der Anzugträger drohend. »Ja, ich auch«, nickte der Kellner.
»Wir haben oft so ein Chartscho dort gegessen, der durchströmte
einen geradezu mit Energie!«
Die Brünette hörte höflich zu, der Kellner nickte.
»Früher war alles besser«, seufzte er. »Nein, wirklich.« Der Anzugträger ging uns langsam auf die Nerven.
»Es war keine Suppe, es war Musik, richtig scharf!«
»Musik-Busik«, wiederholte der Kellner und notierte irgendetwas
in seinen Block.
Es dauerte eine Weile, wir waren bereits mit dem Essen fertig, als der Kellner die Bestellung für den Nachbartisch brachte. »Chartscho ist gekommen, Vorsicht scharf«, sagte er.
Der Anzugträger grinste, nahm einen Löffel und zuckte zusammen, als wollte er aus dem Sitz auf den Tisch springen. Dabei kam sein Teller ins Schwanken, und Teile der Suppe landeten auf seiner Hose.
»Habe ich doch gesagt!«, sagte der Kellner.
Der Anzugträger schaute ihn an, den Löffel im Mund, und sagte
gar nichts.
Der Kellner verschwand für eine Weile, kehrte mit einem Waschlappen in der Hand zurück und versuchte, mit zärtlichen Bewegungen das Chartscho in die Hose des Gastes zu reiben. Der Anzugträger war inzwischen wieder zu sich gekommen, er lächelte sogar etwas schräg seine Begleiterin an.
»Ich möchte den Boss sprechen«, sagte er.
»Boss ist heute nicht gekommen«, entschuldigte sich der Kellner. Gekommen war aber der Oberkellner vom Chitto Gritto. Er
machte einen sachlichen Eindruck.
»Ich wurde in Ihrem Laden regelrecht verarscht«, sagte der An
zugträger zu ihm. »Ich kann in diesem Zustand meinen Geschäftstermin heute Abend nicht wahrnehmen – meine Hose ist versaut. Das kostet Sie fünfhundert Dollar.«
»Das tut uns sehr Leid«, erwiderte der Oberkellner, »Sie bekommen von uns einen Gutschein für ein Abendessen, außerdem bis Ende des Jahres zwanzig Prozent Rabatt in allen Restaurants unserer Kette. Sagen Sie nicht, das wäre ein unfaires Angebot.«
»Ich sage gar nichts mehr! Ich möchte fünfhundert Dollar, und zwar sofort, oder Sie holen mir ihren Boss!«, insistierte der Anzugträger.
»Der ist leider verhindert, aber ich bringe Ihnen den Geschäftsführer«, sagte der Oberkellner.
Der Geschäftsführer, in Anzug und Brille, war sehr höflich, sachlich und diskret. Er bot unserem Tischnachbarn dreißig Prozent Rabatt für zwei Personen für ein volles Jahr, doch der Chartscho-Liebhaber wollte nichts davon hören.
»Fünfhundert Dollar, oder rufen Sie den Boss«, wiederholte er nur.
Die Situation wurde immer spannender. Eigentlich waren wir längst mit dem Essen fertig, wollten aber unbedingt mitbekommen, wie sich dieses Drama auflöste. Deswegen bestellten wir noch zwei Glas Rotwein und warteten gespannt. Die nächsten fünfzehn Minuten passierte nichts. Der Beleidigte schaute bockig in den Himmel, seine Begleiterin war längst mit ihrem Kaffee fertig, schämte sich jedoch, in dieser Situation noch etwas beim Feind zu bestellen. Dann erschien der Kellner wieder und verkündete wie im Theater: »Der Boss ist gekommen!«
»Und der Weißwein? Ist der Weißwein auch gekommen?«, hakte meine Frau nach.
»Leider nicht«, lächelte der Kellner uns an.
Der Boss erwies sich als ein junger Mann Anfang zwanzig. Statt Anzug trug er ein Hawaii-Hemd, Jeans und weiße Lederstiefel, die ihm fast bis zu den Knien reichten.
»Was ist los?«, fragte der Boss den Kellner.
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