Kuckuckskind
berufstätig, aber aus lauter Liebe habe ich alles klaglos akzeptiert. Jetzt, wo ich wieder allein lebe, bin ich zu der Nachlässigkeit zurückgekehrt, die ich von früher gewohnt war. Ob Gernots Hemden inzwischen von einer anderen Frau gebügelt werden? Doch im Schlafzimmerschrank lagen sie so sorgfältig gestärkt und gefaltet, wie es nur eine Wäscherei zustande bringt.
Nur bei einer einzigen Hausarbeit zeichnete sich Gernot aus: beim Kochen. Wenn ich ihm Machogehabe vorwarf, konnte er sich damit wunderbar herausreden. Abgesehen von der Zubereitung des Frühstücks mied ich die Küche, ich hatte keine Lust, stundenlang am Herd zu stehen. Wenn ich mich gar nicht drücken konnte, brachte ich ein schnelles Nudelgericht oder einen Salat auf den Tisch. Natürlich vermisse ich jetzt die tägliche warme Mahlzeit, aber mehr noch fehlt mir Gernots Gesellschaft.
Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich mich längst noch nicht von ihm gelöst. Eine Kränkung trifft ja umso härter, je tiefer die Bindung ist. Bei unserer Hochzeit war ich überzeugt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben, einen, auf den ich mich verlassen kann. Manchmal plagen mich Gewissensbisse, weil ich jede Aussprache abgelehnt habe. Hätten wir nicht eine Paartherapie machen sollen, um [72] wenigstens ohne Groll auseinanderzugehen? Ich habe Gernot bisher keine Chance für eine Rechtfertigung gegeben, vielleicht, weil ich mich dann mit allem auseinandersetzen müsste, was schiefgelaufen war. Außerdem kenne ich weit und breit keine verständnisvolle Seele, mit der ich über meine Probleme sprechen möchte, und das Sprichwort vom geteilten Leid halte ich sowieso für Quatsch.
Meine noch nicht erloschenen Gefühle für Gernot verhindern leider auch, dass ich mich neu orientiere. In der Zeitung las ich kürzlich eine kleine Anzeige: Einsam? Allein? Dann kommen Sie doch zu unserem Single-Treff!
Sekundenlang überlegte ich tatsächlich, ob ich meiner Mutter eine Freude machen und mich ganz unverbindlich nach Details erkundigen sollte. Was waren das für Treffen? Ging es dabei nur um Sex? Aber schon bei dem Gedanken an eine derart plumpe Anbahnung überläuft mich ein Schauder. Nein, ich bin nicht bereit für eine solche oder überhaupt eine neue Beziehung.
Kurz vor seiner Abreise ruft Steffen an, um sich zu verabschieden. Er macht einen zaghaften Versuch, mich als Reisebegleiterin zu gewinnen. »Hättest du vielleicht Lust, die Hansestadt Rostock [73] kennenzulernen? Wenn Birgit und Gernot nach Frankreich fahren, dann könnten wir beide doch eigentlich auch…«
»Nette Idee von dir, Steffen«, unterbreche ich ihn, ohne zu überlegen, »aber ich bin voll und ganz mit meinem Umzug beschäftigt.«
Erst im Nachhinein frage ich mich, ob es sich um einen zweideutigen Vorschlag oder um ein kumpelhaftes Angebot handelte. Doch selbst wenn ich keine anderen Pläne hätte – Steffen als Lover wäre das Letzte, was ich mir wünsche, und eine absolut geschmacklose Vorstellung. Er sieht zwar viel besser aus als Gernot, ist aber überhaupt nicht mein Typ.
Dabei kommt mir eine ekelhafte Szene in den Sinn, die ich vor vielen Jahren erlebt habe und an die ich eigentlich nie mehr denken wollte. Als Studentin war ich mit einem gewissen Emil liiert. Gemeinsam mit meiner Freundin Valerie und ihrem Partner haben wir an allen Wochenenden fröhlich gefeiert. Eines Abends betrank sich Emil über das gewohnte Maß hinaus und fummelte an meiner Freundin herum, die ebenfalls nicht mehr nüchtern war. Ich wurde stinksauer, während Valeries Partner relativ gelassen blieb. Alle lachten über mich – die beleidigte Leberwurst – und schlugen einen Partnertausch vor, was mich noch mehr kränkte. Nur weil [74] Emil und Valerie an diesem Abend miteinander schlafen wollten, sollten wir es auch tun und ihnen damit die Absolution erteilen. Noch heute schäme ich mich, dass ich schließlich gute Miene zum bösen Spiel gemacht habe. Ich lag mit meinem zugeteilten Lover auf einem kratzigen Sisalteppich und lauschte auf Valeries spitze Lustschreie aus dem Nebenraum, während ich ohne jegliche Empfindung die peinliche Kopulation über mich ergehen ließ. Bereits am nächsten Tag trennte ich mich von Emil.
Heute habe ich den Großeinkauf im Möbelhaus erledigt und bin noch ganz gerädert. Es gab viel zu entscheiden und zu überlegen, zu rechnen und zu bezahlen. Das Wohnzimmer wird am teuersten, doch unwahrscheinlich edel. Eine Récamière für das abendliche Fernsehen wollte ich mir schon immer
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