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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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zulegen. Leichte Flechtsessel und Seidenkissen in pompejanischem Rot mit indischen Stickereien habe ich gleich mitbestellt. Für die Küche will ich möglichst wenig Geld ausgeben, daher habe ich schon letzte Woche auf eine Anzeige geantwortet. Warum soll ich nicht eine fremde Großmutter beerben, wenn die eigenen Enkel das bäuerliche Buffet lieber gegen eine Ikea-Küche eintauschen?
    Man möchte nur ein paar Flaschen Prosecco dafür haben, den Transport will der junge Mann aus [75] dem Odenwald für drei weitere Flaschen auch gleich noch besorgen. »In unserem Anhänger ist genug Platz«, sagte er. »Vielleicht wollen Sie noch ein paar alte Küchenstühle als Zugabe? Und einen Tisch? Klebt nur ein bisschen Marmelade und Fliegendreck dran!«
    »Immer her damit!«
    Meine bereitwillige Zusage überraschte ihn. Wie meine Schüler kommentierte er: »Echt krass!«
    Morgen wird er bereits anrücken, deshalb muss ich schon in aller Frühe den Prosecco besorgen, denn am Nachmittag will meine Mutter ihr Auto zurückhaben. Dieser Urlaub ist bis jetzt ein einziger Stress, aber mir geht es gut dabei. Wenigstens lenken mich die vielen Aktivitäten von meinen finsteren Gedanken ab.
    Noch hause ich ja leider im Rattenloch, das mir von Stunde zu Stunde unerträglicher vorkommt. Es liegt nicht nur an der engen, dunklen Wohnung und der grauenhaften Einrichtung, sondern auch an der Vermieterin selbst. Sie sieht aus wie ein Kampfhund, ihr Geruch nach billiger Bodylotion vermischt sich mit Schweißgestank und zieht über das Treppenhaus bis zu mir. Alle paar Tage klemmt sie mir ein abgerissenes Kalenderblatt mit einem Bibelzitat in die Türspalte. Heute gab sie mir zu verstehen:
    [76] Selig sind, die da Leid tragen,
denn sie sollen getröstet werden.
Matthäus 5,4
    Leider ist auch ihre Musik nicht zu ignorieren, da dieses bigotte Weib nicht etwa Choräle, sondern dröhnende Märsche oder auch Diskomusik mit stampfenden Bässen bevorzugt. Selbst zu später Stunde wird mein Trommelfell durch Vibrationen belästigt, die nichts als Aggression auslösen. Mitten in der Nacht bin ich oft kurz davor, aus dem Bett zu springen und das ganze Haus mitsamt seiner ekelhaften Besitzerin abzufackeln. Zum Glück habe ich gerade noch rechtzeitig gekündigt.
    Auch diese Nacht werde ich unsanft aus dem Schlaf gerissen, aber es ist ausnahmsweise gut so. In meinem Alptraum bin ich nämlich selbst die Amokläuferin, die mit einer Knarre in den Klassenraum tritt und reihenweise Schüler abknallt. Wie komme ich nur auf so absurde Ideen, frage ich mich. Andererseits ist es schon seltsam, dass nie ein Lehrer, sondern immer nur Jugendliche die Massaker in der Schule anrichten. Bei den heutigen Verhältnissen an den Schulen könnten ebenso gut die Lehrer durchdrehen.
    Immer wieder stehe ich vor der Tafel und frage [77] mich verzweifelt, wie ich die müde Truppe motivieren kann. Als ich letztes Frühjahr Goethes Osterspaziergang durchnehmen wollte, bin ich auf nichts als Unverständnis gestoßen. Eine Schülerin meldete sich gleich zu Beginn, und ich ahnte nichts Gutes. Laura ist das Musterbeispiel eines gelangweilten Teenagers, absolut cool, wie ihre Freundinnen bewundernd behaupten. Schlimmeren Kitsch als die Zeile im Tale grünet Hoffnungsglück habe sie noch nie gelesen, sagte sie anklagend. Es folgte Schlag auf Schlag, sie hatten sich verabredet, unseren Dichterfürsten niederzumachen. Der Nächste spottete über ohnmächtige Schauer , wieder einer über den lustigen Nachen . Ich kam überhaupt nicht zu Wort. Mit Kreide werfen wie unser Direktor ist nicht mein Stil, mit einem Maschinengewehr losballern letztlich auch nicht. Verzagt klappte ich den Faust zu und diktierte ihnen in rücksichtslosem Tempo einen besonders schwierigen Text. Ob sie wollten oder nicht, jetzt mussten sie still sein. Birgit ist ein solches Fiasko wohl nie passiert.
    Mit dem Kofferraum voller Flaschen fahre ich am nächsten Morgen vom Supermarkt direkt zur neuen Wohnung. Ein Traktor hält keine zehn Minuten später, und ein junger Mann steigt ab. Den Anhänger hat er reichlich vollgepackt.
    [78] »Hoffentlich ist Ihr Mann zu Hause«, sagt er. »Ohne Hilfe kann ich das Buffet nicht abladen.«
    »Mein Mann hat unsere gemeinsame Küche gekidnappt und ist durchgebrannt«, sage ich und sehe mir die Bescherung an. Die Anrichte sieht völlig anders aus, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich hatte an ein Möbel aus Kiefernholz gedacht, eventuell mit rustikalen Schnitzereien, aber nicht an einen

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