Kuckuckskind
solchen Koloss aus wurmbefallenem Birnbaum.
»Ober- und Unterteil habe ich bereits auseinandergenommen«, sagt er und wischt sich vorbeugend den Schweiß ab. »Aber jedes für sich ist schwer wie Blei. Dafür passt alles rein, was man in einer Küche nötig hat! – Suchen Sie eigentlich einen neuen Mann? Auf einem Bauernhof ist eine tüchtige Frau immer willkommen…«
»Meinen Sie, dass ich Ihnen beim Schleppen eine Hilfe bin?«
Er mustert mich und schüttelt den Kopf. »Ich kann schon mal mit den Stühlen und dem Tisch anfangen«, sagt er. »Und die Schubladen könnten Sie vielleicht übernehmen. Doch die zwei großen Stücke schaffen wir auf keinen Fall.«
In diesem Augenblick biegt ein Radfahrer in engen roten Hosen und gelb-schwarzer Jacke um die Ecke, und mein Lieferant scheut sich nicht, ihn zum Halten zu zwingen. Ungern lässt sich der Fremde [79] dazu verpflichten, mit anzupacken. Im Geist zähle ich meine Prosecco-Flaschen und befürchte, dass sie knapp werden könnten.
Nach etwa zwei Stunden steht meine Küche auf morschen Beinen. Wir sitzen zu dritt an einem Tisch aus schmutzig gelbem Limba mit grau-weißer Resopalplatte, trinken abwechselnd aus der Flasche und verbrüdern uns, Gläser habe ich nicht anzubieten. Irgendwie riechen die sechs Stühle nach Kuhstall. Eigentlich fehlt nur noch ein klebriger Fliegenfänger an der Decke, und die ländliche Idylle wäre perfekt.
»Ist wirklich eine schicke Küche«, sagt der Radfahrer und prustet vor Lachen einen Schluck Prosecco in seinen Sturzhelm.
»Das war auch ein einmaliges Schnäppchen, denn in den Schubladen lagert noch das königliche Tafelsilber«, prahlt der Bauernsohn und kichert vor Übermut wie ein zwölfjähriges Mädchen. Da ich die drei Kästen persönlich ins Haus getragen habe, weiß ich, was in Wahrheit drin ist.
»Lass sehen«, sagt der Radfahrer, und ich präsentiere ihm den Inhalt: eine Sammlung von gebrauchten Korken, Zahnstochern, Gummibändern, Blumendraht, Strohhalmen und Einmachetiketten.
»Du hast die erste Wahl!«, sage ich, und er greift [80] nach einem Trachtenknopf mit geprägtem Edelweiß. Erst jetzt erkenne ich, dass es sich um ein altes Stück aus Silber handelt. Ich trinke noch einen ordentlichen Schluck aus der Flasche und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
Schließlich trennen wir uns nach heftigen Umarmungen, denn ich muss schleunigst nach Bad Dürkheim fahren. Der eine klettert auf den Trecker, der andere steigt aufs Rad. Erst im Wagen wird mir bewusst, dass ich nicht mehr ganz nüchtern bin.
Mutter hat Besuch von meiner Kusine, die ihr Baby mitgebracht hat. Ich erinnere mich dunkel, dass ich vor einigen Monaten eine Geburtsanzeige erhalten habe. Misstrauisch schaue ich von einem zum anderen und wittere eine Verschwörung. Aus meiner spießigen Kusine habe ich mir nie viel gemacht, zumal sie fast zehn Jahre jünger ist als ich.
»Ist die Kleine nicht süß?«, fragt meine Mutter. »Nimm sie doch mal auf den Arm! Ich möchte ein Foto machen.«
Das Kind wiegt kaum mehr als eine Katze. Zu meiner Überraschung schmiegt es seinen kahlen Kopf an meine Brust. Ich muss schlucken, möchte das Baby herzen und gleichzeitig am liebsten auf den Boden fallen lassen. Will es nie mehr hergeben und gleichzeitig nichts damit zu schaffen haben.
[81] »Was machst du denn für ein unglückliches Gesicht?«, fragt meine Mutter. »Außerdem musst du das Köpfchen besser stützen, du tust ja gerade so, als hättest du noch nie einen Säugling gehalten…«
Das Zusammentreffen mit der Kusine erweist sich aber letzten Endes als praktisch, denn sie will mich im Auto mit nach Mannheim nehmen, wo ich in die Straßenbahn umsteigen kann. Die Kleine wird in eine Babyschale gebettet und schläft ein, sobald wir losfahren.
»Deine Mutter ist richtig scharf auf Babys«, behauptet meine Kusine. »Sie meinte, Enkel seien die Belohnung dafür, dass man die eigenen Kinder in der Pubertät nicht erwürgt hat.«
Lange denke ich darüber nach und sage nichts mehr. »Wie heißt dein Kind überhaupt?«, frage ich schließlich anstandshalber.
»Wir haben sie Birgit getauft«, sagt die Kusine. »Das ist zwar im Moment nicht modern – sie heißen gerade alle Marie, Sophie oder Laura – , aber Birgit war schon immer mein Lieblingsname. Findest du ihn nicht auch wunderschön?«
»Nein, ganz im Gegenteil«, sage ich unfreundlich.
Daraufhin verstummt meine Kusine. Ich habe mir einmal mehr alle Sympathien verscherzt.
[82] Abends ruft Steffen
Weitere Kostenlose Bücher