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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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gerade übergeben, denn wie damals auf der Konferenz wischt sie wieder mit einem Taschentuch an sich herum und ist kreidebleich. Sie riecht säuerlich und überhaupt nicht nach Maiglöckchen. Ein schrecklicher Verdacht steigt in mir hoch.
    »Streikt der Magen schon wieder?«, frage ich und spare mir den mitleidigen Unterton.
    »Weiß auch nicht«, presst sie heraus und verlässt eilig den Vorraum der Toilette.
    Ist sie etwa in anderen Umständen?, frage ich mich fassungslos. Und wenn ja, welcher Erzeuger ist dafür zuständig? Sie wollte doch keine Kinder, das hat sie wiederholt versichert. Falls mein Mann sie tatsächlich geschwängert haben sollte, dann müssen härtere Maßnahmen her als kochend heißer Tee! Bei [98] dem bloßen Gedanken rege ich mich so auf, dass ich mir in meiner Freistunde zwei Doppelhefte mit Sudokus kaufen muss.
    Doch wahrscheinlich bin ich nur ein Opfer meiner Phantasie. Immerhin kreisten fast sieben Jahre lang meine Gedanken alle vier Wochen nur um eines: Bin ich endlich schwanger? Und Monat für Monat gab es die große Enttäuschung. Birgit und Steffen sprachen nie über die Möglichkeit, Eltern zu werden, und waren insofern fast die einzigen Bekannten, mit denen man über etwas anderes als über Babys reden konnte. Genaugenommen war es die Basis unserer Freundschaft, falls dieses Wort nicht von vornherein eine Lüge war.
    Immer wieder beschwichtige ich meinen Argwohn damit, dass es für Übelkeit und Erbrechen auch andere Ursachen geben kann wie Reisekrankheit, Aufregung, Vergiftungen, Alkoholismus, Krebs…
    Spontan entscheide ich mich für Magenkrebs, aber trotzdem schiele ich auf Birgits Bauch, sobald ich sie nur von weitem erspähe. In punkto Rundungen tut sich zum Glück gar nichts, sie ist schlank wie eh und je, was ich ihr allerdings auch nicht gönne. Neulich sah ich aus dem Fenster meines Klassenzimmers, wie sie quer über den Schulhof flitzte, weil es schon fünf nach acht war. Kann man so sportlich [99] rennen, wenn man schwanger ist? Oder liegt die Verspätung daran, dass man morgens das Frühstück von sich gibt und sich davon erst wieder erholen muss? Ich kann es nicht beurteilen, habe keine persönliche Erfahrung und mir stets die Ohren verstopft, wenn dickbäuchige Frauen über seltsame Gelüste, Kindsbewegungen oder schwankende Befindlichkeit sprachen.
    Zeitweise gelingt es mir, meine Befürchtungen zu verdrängen, aber nicht allzu oft.
    Selbst Manuel ist aufgefallen, dass ich angeschlagen bin. »Sie sind ein bisschen fertig, Frau Reinold«, sagt er mitfühlend, als wir zufälligerweise gemeinsam nach Hause radeln. »Alle anderen konnten in den Ferien ausspannen, nur Sie haben den Umzug gemacht!«
    Ich bin gerührt, dass er sich in die Seelenlage seiner Deutschlehrerin versetzt, und versuche, ihn zu beruhigen. »Da irrst du dich. Ein Umzug ist zwar anstrengend, aber es macht auch Spaß, wenn man sich verbessert! Wahrscheinlich habe ich mich einfach nur erkältet, ist ja auch kein Wunder bei diesem plötzlichen Temperatursturz.«
    Eine Weile strampeln wir schweigend nebeneinander her; es fängt an zu tröpfeln.
    »Scheißwetter! Warum haben Sie eigentlich [100] keinen Wagen?«, fragt Manuel. »Das wäre doch viel bequemer. Und stellen Sie sich mal vor, Sie hätten unsere Aufsätze im Rucksack, und die würden patschnass!«
    »Meine nächste Anschaffung wird ein Auto, und du darfst mir dann mit weißen Handschuhen den Schlag aufhalten. Versprochen!«
    Manuel nimmt die Aussicht, immer mal wieder eine Mitfahrgelegenheit zu haben, zufrieden zur Kenntnis. Dann berichtet er stolz: »Mein Vater hat mich im Urlaub manchmal fahren lassen, natürlich nur in der Pampa. Das war die Belohnung, weil ich in der letzten Französischarbeit eine Drei plus hatte. Frau Tucher meinte, ich brauche keine Nachhilfestunden mehr.«
    Frau Tucher, also Birgit. Ich zucke zusammen. Auf einmal fällt mir etwas ein. »Manuel, du hast mich mal gefragt, wie Frau Tuchers Mann mit Vornamen heißt. Warum wolltest du das eigentlich wissen?«
    Er gluckst nur, ich muss noch einmal nachhaken.
    »Weil sie ein paarmal am Telefon Schatz gesagt hat. Der Typ hieß bestimmt nicht Steffen, es war ein ausgefallener Name! Aber bitte nix verraten!«, ruft er, winkt mir zu und biegt in die nächste Querstraße ab.
    Eigentlich will ich noch fragen, ob der Unbekannte etwa Gernot hieß, aber damit brächte ich den [101] cleveren Jungen auf eine heiße Spur. Leider wird mir durch eine Summe von Kleinigkeiten immer klarer, dass

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