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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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lecke auch noch meine Wunden…«
    Er schiebt das Sweatshirt hoch und zeigt mir seinen nackten Bauch, auf dem großflächige, gerötete Placken zu sehen sind. Er meint es wahrscheinlich nicht böse, aber ich fühle mich gedemütigt, und mir wird beim Anblick seiner verletzten Haut richtig schlecht. Der Weinkrampf wird so heftig, dass mich Gernot mitleidig in die Arme nimmt.
    Wie habe ich mich nach diesem Augenblick gesehnt, wie habe ich Gernot vermisst, wie einsam bin ich in meinem großen Bett. Doch meine zwiespältigen Gefühle und meine Wut verhindern eine Annäherung. Ich suche nach einem Taschentuch und befreie mich aus seiner Umklammerung.
    »Hast du eigentlich noch Kontakt mit Steffen und Birgit?«, frage ich und schneuze mich gründlich.
    Gernot schaut zum Fenster hinaus. [109] »Gelegentlich spiele ich mit Steffen und dessen Freund eine Runde Skat«, sagt er ausweichend. Doch plötzlich scheint ihm ein Licht aufzugehen. »Ach so, deswegen die Tränen! Wahrscheinlich weißt du die große Neuigkeit schon länger als ich«, sagt er, »du siehst Birgit doch jeden Tag.«
    »Ich weiß gar nichts«, sage ich. »Ich ahne noch nicht einmal, worauf du anspielst.«
    »Wirklich, Anja? Vorläufig soll es zwar geheim bleiben, aber Steffen hat es mir trotzdem verraten. Nicht nur Frauen reden gern. Der gute Steffen ist stolz wie Oskar. Die beiden kriegen nach so vielen Jahren ein Kind! Ich gönne es ihm ja, aber irgendwie tat es mir weh!«
    Mir wird schwarz vor den Augen. Ich ringe nach Luft.
    »Um Gottes willen, Anja! Ich bring dir rasch ein Glas Wasser! Oder willst du lieber einen Tee?«

[110] 9
    »Wo ist die Küche?«, fragt Gernot.
    Sowie ich in eine ungefähre Richtung zeige, setzt er sich in Bewegung. Nach kurzer Besinnung trotte ich hinterher, auf den heißen Tee möchte ich lieber verzichten. Am Ende kommt er noch auf die Idee, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
    Gernot ist jedoch im Schlafzimmer gelandet und betrachtet neugierig das große Bett, stößt einen leisen Pfiff aus, enthält sich aber eines Kommentars.
    »Ich brauche keinen Tee«, sage ich schniefend. »Aber von mir aus kannst du auch gleich alle Zimmer inspizieren.«
    Ironie ist ihm fremd. Gernot begibt sich ohne Zögern in das angrenzende Arbeitszimmer.
    Vorsichtshalber reiße ich auch noch die Küchentür auf, denn in den vierten, orange gestrichenen Raum lasse ich ihn auf keinen Fall hinein. Dort sieht es noch recht provisorisch aus; die Fenster starren vor Schmutz, für ein geplantes Gästezimmer mit Bibliothek fehlen sowohl eine Schlafgelegenheit als auch eine edle weiße Regalwand. Die meisten [111] meiner Bücher habe ich blöderweise im Häuschen gelassen. Ich hätte Gernot vielleicht bitten sollen, mir wenigstens ein paar Klassiker mitzubringen.
    Beim Anblick meines Küchenbuffets reißt Gernot Mund und Augen auf, ähnlich, wie es meine Mutter getan hat.
    »Tisch, Stühle und Anrichte habe ich von einer alten Frau übernommen, die früher hier wohnte«, sage ich.
    Gernot wagt nicht, über diese Möbelstücke zu lästern. Für ihn, der immer Wert auf eine schicke und funktionelle Küche legte, muss es ein Schock sein, andererseits weiß er genau, was Designerentwürfe kosten. Wortlos nimmt er ein Senfglas aus dem Abtropfbrett und füllt es für mich mit Leitungswasser, was ich auch ohne ihn geschafft hätte.
    »Die Ordner liegen schon bereit«, sage ich, um ihn endlich loszuwerden. Zum Glück schaltet er rasch, nimmt die große Plastiktüte, in der ich alles verstaut habe, und verabschiedet sich.
    Die kurze Visite meines Mannes beschäftigt mich noch lange. Sicher glaubt Gernot nicht, dass meine Mutter die Sachen im Häuschen ohne meine Mitwirkung zusammengerafft hat. Steffen konnte ihm erzählt haben, dass er mir beim Transport des Fernsehers geholfen hat. Eigentlich hätte ich Gernot bei [112] dieser Gelegenheit auch die Hausschlüssel zurückgeben müssen, aber er hat offenbar ebenso wenig daran gedacht wie ich. Nun, man weiß ja nie, ob man sie noch einmal brauchen kann.
    Abgesehen davon kreisen meine Gedanken unaufhörlich um Birgits Schwangerschaft. Ihr Erbrechen hatte ich jedenfalls richtig gedeutet. Anscheinend bezweifelt Steffen noch nicht, dass er der Erzeuger des Kindes ist. Und sollte Gernot ein schlechtes Gewissen plagen, weil er ja auch als Kindsvater in Frage käme, hätte er die sensationelle Neuigkeit wohl gar nicht erst erwähnt. Was soll ich davon halten? Falls Birgit im selben Zeitraum mit Mann und Liebhaber geschlafen hat,

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