Kuckuckskind
Gernot und Birgit schon über längere Zeit ein Verhältnis haben und das Magenkarzinom meiner Kollegin wohl doch ein Embryo ist.
Es riecht ausgesprochen lecker im Treppenhaus, Patrick Bernat hat gekocht. Von Manuel weiß ich, dass seinem Vater die Küche zum vollwertigen Ersatz für sein früheres Labor geworden ist. Ich bekomme Hunger. In meinem Kühlschrank sind höchstens ein paar Eier, die ich notfalls in die Pfanne hauen kann, denn an diesem kühlen Tag muss endlich etwas Warmes auf den Tisch. Wie nett wäre es doch, wenn mein Schüler plötzlich vor der Tür stehen und mich zum Mittagessen einladen würde. Zum Beispiel mit der Begründung, dass sein Papa sich mit den Portionen verschätzt habe.
Von meinem Küchenfenster aus sehe ich, wie Manuel nun ebenfalls eintrudelt, Julian neben sich. Anscheinend wird sein Freund zum Essen mitgebracht. Was mag man da unten wohl verzehren? Es riecht nach gebratenem Speck. Gernot pflegte zu sagen, mit Speck, Sahne und Wein könne jeder Depp eine gute Sauce hinkriegen. Als Profi fügte er gegebenenfalls ein paar Lorbeerblätter, Wacholderbeeren oder getrocknete Pilze hinzu. Ich erinnere mich [102] an seinen weihnachtlichen Rehbraten mit Spätzle, und bei dem bloßen Gedanken läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ob Gernot jetzt auch für Birgit kocht?
Als es bei mir klingelt, bin ich fast sicher, dass Bernat mit einem halben Rehrücken vor der Tür steht. Ich habe gar nicht mehr daran gedacht, dass heute mein Bett geliefert wird, und das macht mich glücklicher als jeder Braten. Zwei starke Männer wuchten das Prachtstück die Treppe hinauf, und für ein anständiges Trinkgeld schaffen sie die alte Matratze zurück in die Mansarde.
Als ich später das Haus noch einmal verlasse, stoße ich auf Herrn Bernat, der die Mülltonne auf die Straße rollt.
»Was gab es denn heute bei Ihnen zu essen?«, frage ich neugierig. »Es roch umwerfend gut!«
»Nichts Besonderes, Speckpfannkuchen mit grünem Salat«, sagt er. »Manuel hat gemosert. Mit Speck fängt man zwar Mäuse, aber keinen verwöhnten Jugendlichen! Anscheinend wächst mein Sohn gerade, weil ihm im Augenblick das größte Steak zu klein ist. Hoffentlich hat Sie der Geruch nicht belästigt?«
»Im Gegenteil«, sage ich, »ich habe Hunger bekommen und mir zwei Spiegeleier gebraten. Leider war es das Einzige, was ich im Kühlschrank hatte!«
[103] Er lacht. »Wären Sie doch heruntergekommen! Bei uns sind die schönsten Speckscheiben liegengeblieben. Manuels Freund ist Vegetarier, da ist es ein Problem, ihn mit den nötigen Proteinen zu versorgen. Ich habe ihm ein Omelett mit Tofu gefüllt.«
Ein fürsorglicher Mann, denke ich und radele zum Supermarkt, der zum Glück von meiner neuen Wohnung aus rasch zu erreichen ist. Manuel hat recht, ein Auto wäre komfortabel, auch zum Vorräte-Aufstocken. Speck muss her! Sahne, Wein, Brot, Butter, Käse, Schinken, Öl, Nudeln, Kartoffeln, Tomaten, Kaffee – der Einkaufswagen biegt sich fast unter der Last. Ratlos stehe ich am Ende vor meinem Fahrrad, der Rucksack ist bereits voll, das Körbchen quillt über. Nun muss ich wohl noch rechts zwei Plastiktüten und links eine Großpackung Klopapier an die Lenkstange hängen.
»Hallo Anja! Bist du unter die Penner gegangen?«, höre ich plötzlich. Ein Mitglied meines ehemaligen Chors steht neben mir und beobachtet kopfschüttelnd, wie ich mich abquäle.
»Grüß dich, Martina!«, sage ich. »Was macht der Gesang?«
»Gerade proben wir die Carmina Burana «, sagt sie. »Hast du nicht Lust, wieder einzusteigen? Wir sind erst am Anfang, du könntest leicht den [104] Anschluss kriegen. Was um alles in der Welt machst du mit diesen tausend Tüten an deinem Rad?«
Gern gehe ich auf Martinas Angebot ein, meinen Einkauf in ihr Auto zu laden. »Das Rad kannst du ja später abholen«, meint sie. »Wo wohnst du überhaupt?«
Als wir in der Scheffelstraße ankommen, stellt sie verwundert fest: »Was für ein Zufall, ausgerechnet das Bernat’sche Haus! Wie geht es Manuel? Sein Papa hat’s sicher nicht leicht mit ihm.«
Martina ist mit Bernat verwandt, eine Kusine zweiten Grades, wie sie mir erklärt. Natürlich bin ich begierig, mehr über ihn zu erfahren.
»Seine Frau ist zwar kein ganz großer Star, aber sie kriegt inzwischen Hauptrollen wie den Octavian im Rosenkavalier und den Cherubino im Figaro . Sängerin! Das passt eigentlich nicht zu Patrick, haben wir gedacht und lagen damit richtig: Die Isa hat sich mit einem Kollegen nach
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