Kuckuckskind
nichts mehr von dir. Was ist eigentlich los?«, fragt sie, halb ärgerlich, halb besorgt.
»Keine Zeit«, lüge ich.
[120] »Das nehme ich dir nicht ab. Für einen kurzen Anruf bei der eigenen Mutter muss immer Zeit sein! Aber so warst du ja schon immer…« – Sie verfällt plötzlich ins Pfälzische – »Kumm isch heit net, kumm isch morsche!«
Ich muss lachen. »Gerade bin ich dabei, mir ein gebrauchtes Auto zu kaufen. Und außerdem wurde ich von unseren Schülern als Vertrauenslehrerin für die Organisation einer großen Fete auserkoren!«
Das gefällt ihr, Stillstand ist ihr verhasst. Ich erhalte ein Lob und die Aussicht auf einen Zuschuss für den Wagen.
Auf dem riesigen Areal des Autohändlers treffe ich abermals Steffen. Als Erstes registriere ich, dass seine strohblonden Borsten inzwischen vollständig nachgewachsen sind. Er wolle seinen Wagen verkaufen, sagt er strahlend, denn demnächst brauche man eine Familienkutsche.
Manuel ist außer Hörweite. »Bist du dir sicher, dass es kein Kuckucksei ist?«, frage ich und hätte mir am liebsten sofort auf die Zunge gebissen.
»Anja, jetzt gehst du aber zu weit, da hört der Spaß auf! Fast hättest du mich mit deinen blöden Verdächtigungen angesteckt, aber zum Glück habe ich meinem eigenen Gefühl mehr getraut als deinem bösartigen Geschwätz. Du musst endlich von [121] deinen Eifersuchtsattacken runterkommen und akzeptieren, dass wir ein Kind erwarten.«
Wie ungerecht! Er war doch derjenige, der mich über Birgits Liebesleben aushorchen wollte. Nun ist er zornig und ereifert sich. Mir kommen fast die Tränen vor Wut. Doch Manuel soll mich so nicht sehen, ich reiße mich zusammen.
»Es tut mir leid, Steffen. Wahrscheinlich bin ich ein bisschen verstört, weil ich mir nichts mehr gewünscht habe als ein eigenes Kind. Und unsere Scheidung habe ich auch noch nicht verkraftet. Entschuldige bitte.«
»Schon gut«, sagt er kurz und wendet sich an den vielbeschäftigten Verkäufer, der jedoch noch um fünf Minuten Geduld bittet.
Meine Worte scheinen nachzuwirken. Mit düsterem Blick schaut Steffen in den ebenso trüben Himmel und grübelt. »Sollte es aber stimmen, dann gnade uns Gott…«
Es klingt wie eine schreckliche Prophezeiung. »Alles, was recht ist, ich will dir doch auf keinen Fall etwas weismachen«, verteidige ich mich. »Du hast doch selbst gehört, was Birgit auf Gernots Anrufbeantworter gesprochen hat. Schließlich hat sie ihn Schatz genannt…«
Steffen schreit mich an: »Hör auf!«
Doch ich fahre unbeirrt fort: »Mein Argwohn [122] war bestimmt nicht aus der Luft gegriffen. Ich kam zufällig dazu, als sie in der großen Pause mit dem Handy auf dem Balkon stand und zum zweiten Mal Hallo, Schatz geflötet hat…« Den aufmerksamen Schüler Manuel, der ja eigentlich mein Informant ist, will ich lieber nicht ins Spiel bringen. Zehn Autoreihen weiter kann ich sehen, wie er eifrig von Wagen zu Wagen läuft und Preise notiert.
»Birgit hat mich noch nie im Leben Schatz genannt«, stellt Steffen fest. Seine Miene verfinstert sich immer mehr. Plötzlich meint er, die Lust auf eine Familienkutsche habe ich ihm gründlich verdorben. Und verschwindet, ohne mir auch nur die Hand zu geben.
Manuel gesellt sich wieder zu mir und führt mich zu einem Kleinwagen in Silbermetallic. »Vielleicht kann man ihn noch runterhandeln, aber 10000 Euro ist er sicherlich wert«, urteilt er fachmännisch. »Damit kommen Sie in jede Parklücke rein! Wetten, dass er gute 180 schafft? Sollen wir mal eine Probefahrt machen?«
Der kluge Junge hat meine Bedürfnisse erfasst und nicht nur an seine eigenen Wünsche gedacht. Ich suche weder einen besonders schnellen noch einen repräsentativen Wagen, nur einen fahrbaren Untersatz, der mich zuverlässig von A nach B bringt.
[123] Am Abend essen wir gemeinsam und hochzufrieden bei Manuel in der Küche. Es gibt Thunfisch aus der Dose mit aufgebratenen Spaghetti, und wir stoßen auf den günstigen Kauf an. Da Manuel Besuch bekommt, lasse ich ihn mit dem schmutzigen Geschirr allein. Ob er seinen Freund Julian oder etwa ein Mädchen erwartet?
[124] 10
Zwei Tage später berichtet mir Manuel, dass sein Vater zurück sei. »Er hat in München Freunde besucht und sich um eine Stelle beworben«, sagt er.
»Hoffentlich hat es nicht geklappt.«
»Wieso denn das?«
»Ich will nicht nach München! Meine Freunde habe ich hier, ich müsste die Schule wechseln und Bayerisch lernen…«
Das leuchtet mir ein. In einem bestimmten
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