Kuckuckskind
mich. Der verhasste Maiglöckchenduft hüllt mich ein. »Ich muss jetzt gehen, es hat geläutet«, sagt sie. »Alles Gute für dich. Vielleicht lernst du ja bald den richtigen Mann kennen, und es glückt doch noch – unverhofft kommt oft!«
Kann man sich so verstellen? Steffen, der seine Frau ja am besten kennt, glaubt fest an ihre Loyalität. Vielleicht sollte auch ich meiner Kollegin ihren dicken Bauch gönnen, egal, woher sie ihn hat.
Bevor es Winter wird, will ich mir einen Wagen kaufen. Ich frage Manuel um Rat, denn Jungen in seinem Alter sind über Autos besser informiert als über Goethe & Schiller.
Er zeigt sich interessiert. »Ein Cabrio ist in Ihrem Alter leider nicht mehr ganz passend, oder? Wie viel wollen Sie denn ausgeben?«, fragt er und verspricht, sich im Internet und bei einem Gebrauchtwagenhändler schon mal kundig zu machen.
Zwei Tage später bringt er mir die Broschüren diverser Autohäuser. Früher kam er oft in die obere Etage, denn hier lebte seine Großmutter bis zu [117] ihrem Tod. Ich zeige ihm alle Räume. Er ist der Erste, dem das Küchenbuffet gefällt.
»Wow! Ist ja der Hammer!«, sagt er. »Dagegen ist es bei uns stinklangweilig.«
»Aha, deswegen habt ihr mir eure Küche vorenthalten«, sage ich.
Im Gegenzug gehen wir jetzt gemeinsam ins Erdgeschoss. Patrick Bernat ist nicht zu Hause, sein Sohn führt mich in eine unaufgeräumte Wohnküche, in der noch die kalten Spaghetti vom Mittagessen herumstehen. Es sieht so ähnlich aus wie in meiner früheren Studentenbude, nur sind die Elektrogeräte etwas moderner, und einige Messgeräte scheinen direkt aus dem Labor zu stammen.
Auf der Tür des Gefrierschranks klebt das Starfoto einer schönen Frau. Sie sieht ein wenig exotisch aus mit ihren dunklen Augen und den langen schwarzen Haaren, in denen eine feuerrote Rose prangt. Um ihre Schultern ist eine Spitzen-Mantilla drapiert.
»Das ist Mama als Carmen«, sagt Manuel, nicht ohne Stolz.
»Toll«, sage ich voller Bewunderung. »Du siehst aber eher deinem Vater ähnlich. Vermisst du deine Mutter sehr?«
»Weiß nicht«, sagt Manuel, » de temps en temps !«
[118] »Mensch, das ist ja perfektes Französisch!«, rufe ich staunend.
Er sei Birgit sehr dankbar, erzählt Manuel, sie habe ihn immerhin von einer Fünf auf eine Drei gehievt. Und der Unterricht bei Herrn Schuster mache ihm jetzt fast Spaß.
Das kommt mir wie ein Wunder vor, denn besagter Kollege gilt als Schlaftablette, und sein Französisch hat einen grauenhaften schwäbischen Akzent.
Manuels Handy klingelt, er verzieht sich in eine entfernte Ecke. »Später«, sagt er leise, »ich rufe dich zurück. Patrick ist heute und morgen in München, da wäre es günstiger hier bei uns.«
Plant mein lieber Manuel für heute Abend eine Orgie? Habe ich am Ende eine Aufsichtspflicht gegenüber dem Minderjährigen? Dann hätte mich sein Vater allerdings informieren müssen.
»Zeigst du mir auch dein Zimmer?«, frage ich, aber er schüttelt etwas verlegen den Kopf. Ein andermal, es sei nicht aufgeräumt, meint er.
Niemand versteht das besser als ich. »Als ich in deinem Alter war, sah es bei mir meistens wie Kraut und Rüben aus. Ich bin auch ein Einzelkind«, erzähle ich. »Da wird man zwangsläufig etwas verzogen. Aber lieber hätte ich Geschwister gehabt.«
»Bei mir ist das anders«, sagt Manuel. »Ich hatte ja eine kleine Schwester, die leider nicht mehr lebt. [119] Erst starb sie, dann meine Oma, die Großtante kam ins Altersheim, schließlich zog meine Mutter fort. Wir haben immer gehofft, dass sie zurückkommt, und deswegen die obere Wohnung zwei Jahre lang nicht vermietet. Aber Patrick und ich sind ein eingespieltes Team, wir kommen ganz gut klar.«
So viele freiwillige, traurige und sehr persönliche Auskünfte hätte ich nie von einem Schüler erwartet; ich hätte Lust, ihn wie einen kleinen Jungen in den Arm zu nehmen, aber das wäre sicherlich grundverkehrt. Also danke ich ihm herzlich für die Recherche und verspreche, ihn beim Autokauf als Berater mitzunehmen.
Nicht nur Manuel, auch andere Schüler haben Vertrauen zu mir. Der Gecko informierte mich kürzlich, dass die Schüler der Mittel- und Oberstufe einen Schulball veranstalten wollten. Als Ansprechpartnerin und Kontaktperson für die aufwendigen Vorbereitungen sind sie auf mich verfallen. Natürlich bedeutet das zusätzliche Arbeit, aber ich fühle mich geschmeichelt. Im Beruf bin ich jedenfalls keine Flasche.
Meine Mutter ruft an. »Man hört ja überhaupt
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