Kuckuckskind
Alter sind die Freunde das Wichtigste auf der Welt. Und ich persönlich fände es auch besser, wenn alles so bliebe, wie es ist. »Viele Akademiker machen eine jahrelange Odyssee durch mit ihren Bewerbungen, besonders wenn sie nicht mehr taufrisch von der Uni kommen. Wie alt ist denn dein Vater?«, frage ich.
»Ich glaube, er wird schon 52«, sagt Manuel und fügt grinsend hinzu: »Aber er kann nichts dafür!«
»Als Goethes Vater dieses Alter erreichte, bezeichnete ihn sein Sohn als würdigen Greis«, sage ich tröstend. »Das beurteilt man heutzutage zum Glück ein bisschen anders.«
[125] »Entweder Goethe war leicht bescheuert«, sagt Manuel, »oder ich sollte Patrick in Zukunft vielleicht auch nicht mehr so vertraulich anreden?« Er verneigt sich vor dem Flurspiegel und säuselt: »Ehrwürdiger Greis, ist Er wohlbehalten aus dem Ausland zurückgekehrt? Hat Er auch daran gedacht, seinem nichtsnutzigen Sohn zwölf Weißwürste mitzubringen?«
Ich selbst treffe Patrick Bernat erst am Wochenende, als ich in meinen neuen Wagen steige.
»Niedlicher kleiner Hüpfer«, lobt er. »Guter Kauf!«
»Manuel hat mich fachmännisch beraten«, sage ich. »Ohne ihn müsste ich immer noch bei Regen und Wind mit dem Fahrrad herumkurven.«
»Vielleicht war Manuels Rat nicht ganz uneigennützig. Aber eigentlich hätten Sie meinen Wagen mitbenutzen können«, meint er noch. »Ich brauche ihn nicht oft.«
Auf dem Weg nach Dürkheim denke ich über Bernats Worte nach. Eigentlich hätte ich seine Speckpfannkuchen mitessen, eigentlich hätte ich sein Auto ausleihen können – aber was hilft mir das, wenn er mir solche Angebote erst nachträglich macht? Oder ist es ein verkappter Hinweis, dass ich mich häufiger [126] mit einem kleinen Anliegen ins Erdgeschoss trauen soll? Wir sind beide gebrannte Kinder, vielleicht wagen wir nicht, unsere gegenseitige Sympathie offen zu zeigen. Nicht zuletzt ist Patrick Bernat der Vater eines Schülers und mein Vermieter. Und da gelten strengere Regeln.
Meine Mutter ist ebenfalls mit dem neuen Wagen einverstanden, mit meinem Aussehen nicht. Ich sei zu blass, schon wieder so grau und unscheinbar, zu dünn und die Frisur zum Gotterbarmen. »Ich hoffe ja sehr, dass dich ein kompetenter Mann beim Autokauf beraten hat«, sagt sie und sieht mich forschend an.
»Worauf du dich verlassen kannst«, sage ich. »Es war mein Lieblingsschüler.«
»Nun ja denn«, sagt sie enttäuscht. »Aber wenn wir schon vom Kaufen sprechen – es gibt Dinge, die wichtiger sind als ein Auto! Wir müssen dir unbedingt etwas Schickes für die kühle Jahreszeit besorgen. Mach doch nicht gleich so ein ablehnendes Gesicht! Wie komme ausgerechnet ich zu einer Tochter, die man wie einen störrischen Esel in eine Boutique zerren muss!«
Es geht um Manuel, als mich Anselm Schuster auf dem Flur am Ärmel packt.
[127] »Mahlzeit, Anja!«, sagt mein Kollege. »Isch doch erschtaunlich, was dei Manuel für Fortschritt gmacht hat. Als Klassenlehrerin müsst di des doch freua!«
»Sicher, aber der Erfolg ist nicht mir zuzuschreiben. Birgit hat ihm Nachhilfe gegeben, das hat erstaunlich gewirkt.«
»Sie hat so ihre eigene Methode«, sagt Schuster voller Bewunderung. »Dr Manuel hat mir verzählt, dass er sich jeden Abend als letschte Tat vorem Einschlafe no zehn Vokable eiprägt hat. Am nächschte Morge repetiert er die glei nachem Aufwache, und des scheint zu funktioniera.«
»Toll«, sage ich matt.
»Des isch net ganz neu«, plaudert Schuster weiter, »des hat scho mein Oma behauptet. Dr Manuel hat mir aber vorgrechnet, dass er so fuffzig Vokable in de Woch, zwoihondert im Monat und – ohne d’ Ferie – etwa zwoidausend em Jahr glernt hat.«
»Ach, Anselm! Vokabeln sind nicht alles«, entgegne ich. »Wie hält er es denn mit Syntax und Rechtschreibung?«
»Klappt ebefalls besser«, meint er. »I wollt der verehrte Kollegin au den Julian und zwoi ällerliebschte Mädle – die Klara und die Hülya – schicke. Aber d’ Birgit will jetzt koi zusätzliche Arbeit übernehma. – Schtimmt des Gerücht, dass sie ebbes Kleins erwartet?«
[128] »Darüber weiß ich nichts«, sage ich.
Ich schätze Anselm Schuster wenig, was aber anscheinend nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Er gehört zur Mahlzeit-Fraktion, wie wir jene Kollegen nennen, die uns zu bestimmten Zeiten mit diesem Gruß beglücken.
Erst durch Birgits boshafte Beobachtungen bin ich auch auf die Unterschiede beim Lehrerfrühstück aufmerksam geworden. Die
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