Kuckuckskind
verheirateten Mann einlassen soll. Zwar könnte es den Beginn einer Affäre begünstigen, dass wir unter einem Dach wohnen, aber beim Scheitern der Beziehung müsste ich wohl wieder ausziehen.
Nach diesem anstrengenden Gartentag am Ende der Herbstferien lud mich Patrick zum ersten Mal zum Essen ein. Die Möhren stammten aus eigener Ernte. Schon am Tag zuvor hatte Patrick den Eintopf vorbereitet, der nach kurzem Aufwärmen dampfend auf dem Tisch stand und gut schmeckte. [137] Nach der Rotweincreme benutzte ich die Toilette meines Gastgebers und warf bei dieser Gelegenheit einen raschen Blick in sein Schlafzimmer. Was mich am allermeisten interessierte, konnte ich auch sofort erkennen: ein großes Doppelbett, genau wie bei mir.
Immerhin beschäftige ich mich nur noch selten mit Sudokus und beherzige vielmehr den Rat meiner Mutter: Ich verwende mehr Zeit und Geld auf mein Äußeres. Manuel hat es sofort registriert und mir Komplimente gemacht. Die Frisur möchte ich zwar nicht wechseln, aber ich habe mir einen grünen und einen lila Pullover, zwei Paar Hosen sowie dunkelviolette Stiefel gekauft. Es sind aber nicht nur die Sudokus, die mir gleichgültiger werden, auch Birgit und Gernot treten in meinen Gedanken allmählich in den Hintergrund.
Und trotzdem werde ich immer wieder mit der Vergangenheit konfrontiert. Neulich traf ich zum Beispiel meine ehemalige Putzfrau, die sofort auf mich zustürzte und mir ihr Beileid zur Scheidung aussprach. Früher sei das Saubermachen in der Postgasse einfacher gewesen, weil ich regelmäßig aufräumte.
Demnach habe sich mein Mann noch keine ordnungsliebende Freundin zugelegt, fragte ich und [138] schämte mich sofort wegen meines unüberlegten Vorpreschens.
»Woher soll ich das wissen?«, sagte Frau Meising gekränkt. »Ich habe noch nie in den Sachen rumgeschnüffelt!«
»Das weiß ich doch am besten«, versicherte ich doppelzüngig. »Und ich wollte Sie auf keinen Fall aushorchen! Aber zuweilen steht vielleicht ein zusätzliches Frühstücksgedeck in der Spülmaschine, das zweite Bett ist benutzt oder ein weiteres Handtuch hängt im Bad – Kleinigkeiten, auf die man zwangsläufig stößt, ohne dass von Herumschnüffeln auch nur die Rede sein kann…«
»Gelegentlich empfängt Herr Reinold Besuch«, sagte sie steif. »Sie etwa nicht?«
Die Begrüßung war netter ausgefallen als unser kühler Abschied. Dabei hatte ich schon erwogen, Frau Meising für meine neue Wohnung anzuwerben. Bestimmt wusste sie mehr, als sie zugab, wollte es nur nicht mit ihrem Arbeitgeber verderben.
Auch Birgits Anblick erinnert mich dauernd daran, dass Gernot und nicht der zuständige Ehemann für ihre Befruchtung gesorgt haben könnte. Inzwischen erregt sie die fürsorgliche Aufmerksamkeit unserer Kollegen, denn der anschwellende Bauch lässt sich nicht mehr kaschieren. Auf dem [139] Raucherbalkon steht sie nie mehr, sie hat ihrem Laster wohl abgeschworen. Ich sehe sie aber häufig mit der schwangeren Musiklehrerin zusammenglucken, die bereits Kinder hat. Der Anblick von gleich zwei gesegneten Leibern ist für mich eine Zumutung, und ich fliehe sofort.
Kürzlich bemerkte Patrick leicht süffisant, aber durchaus stolz, sein Sohn gehe neuerdings auf Freiersfüßen. Manuel lässt sich nicht allzu häufig von mir chauffieren, denn unsere Stundenpläne weichen stark voneinander ab. Nur donnerstags streckt er sich morgens und mittags müde auf dem Beifahrersitz aus und informiert mich nach und nach über weitere Details aus seinem Familienleben.
»Weihnachten will meine Mutter herkommen«, mosert er, »weil ich auf keinen Fall nach Kopenhagen fliegen werde.«
»Deinem Unterton könnte man entnehmen, dass es dir nicht unbedingt in den Kram passt«, sage ich. »Soviel ich weiß, lebt deine Mutter mit einem Kollegen zusammen, warum feiert sie das Julfest nicht mit ihm?«
»Weil dieser Mensch insgesamt vier Kinder von drei Frauen hat«, sagt Manuel feixend, »und es ihn einmal im Jahr zu seinen Familien zieht.«
»Pass auf, ich glaube, dein Schal klemmt in der [140] Autotür«, sage ich. Und frage beiläufig: »Freut sich wenigstens dein Vater?«
Manuel wird nachdenklich. »Patrick sagt fast nie was über meine Mutter. Ich glaube, als meine Schwester Leno starb, haben sich meine Eltern auseinandergelebt.«
»Leno? Ich kenne nur Lena, Lene und Leni. War das ihr Vorname?«, frage ich.
»Lenore, wahrscheinlich nach einer Operntussi«, meint Manuel. »Mama selbst heißt Isa, nennt sich aber Isadora. Bei
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