Kuckuckskind
mehr an den Klapperstorch, und zweitens sollte man nicht überall ein Problem sehen«, meinte Patrick. »Diese Sara hat eine vernünftige Stiefmutter. Ich möchte wetten, sie kriegt jeden Morgen die Pille neben den Kakaobecher gelegt.«
Während wir noch weiter über die Sexualität heutiger Teenager fachsimpelten, kam Manuel bereits zurück. Stolz packte er zwei Plastiktüten aus: Mützen und Jäckchen, Strampler und Bodys – alles in hell- und dunkelrosa, pink und rosarot.
»Die Farbe ist unserem Victor Augustus zum Glück egal«, meinte Patrick. »Aber Birgit wird sich wundern, wenn sie ihren Sohn als kleinen Transvestiten in Empfang nimmt.«
»Sie haben sogar noch eine Wiege«, sagte Manuel, »aber die kriege ich nicht aufs Mofa.«
Jeden Abend gab ich dem Kleinen die Flasche; wenn ich gelegentlich hochschaute, sah ich Patricks konzentrierten Blick auf mir ruhen. Er beobachtete lächelnd, ob ich alles richtig machte, wollte hoffentlich auch meine mütterlichen Fähigkeiten beurteilen.
Es ist seltsam, wie schnell man sich an ein Baby [214] gewöhnen kann; anfangs hatte ich Schwierigkeiten, das Produkt von Birgits und Gernots Doppelspiel ein wenig ins Herz zu schließen. Victor verstand es jedoch ausgezeichnet, sich bei mir einzuschmeicheln, bei Patrick war es ihm auf Anhieb gelungen. Selbst Manuel war inzwischen vom Kindchen-Virus infiziert und stellte sich an unserem Chorabend freiwillig als Babysitter zur Verfügung. Bestimmt hätte er gern wieder ein Geschwisterchen, dachte ich.
Als ich an jenem Abend den rosaroten Victor verließ und in die eigene Wohnung zurückkehrte, setzte ich mich nicht etwa an die dringend fällige Korrektur von 25 Testblättern, sondern an den PC . Im Internet informierte ich mich über den technischen Ablauf einer Retortenbefruchtung, die ja mit einigen Unannehmlichkeiten für die Frau verbunden ist. Falls Patrick kein Kind mit mir haben wollte – was bisher völlig offen war – , gab es immerhin noch Gernot, der mir einen Neubeginn mittels der Reproduktionsmedizin angeboten hatte. Mein Herz schlug zwar für Patrick, aber in meinem Alter musste man das Leben pragmatisch angehen und konnte sich keine Verzögerungen mehr leisten.
Ob er nun die Stelle in Potsdam annehmen wollte oder nicht, darüber schwieg sich Patrick aus; von [215] Steffen hörte man nichts, Gernot hatte sich leicht beleidigt von mir verabschiedet, ob Birgit etwas zugestoßen war, wusste keiner von uns. Lauter ungeklärte Probleme, die mir das Leben schwermachten.
Seufzend stellte ich die Teetassen zusammen, räumte ein wenig auf und entdeckte in der Polsterritze ein gebrauchtes Tempotuch. Gerade wollte ich es mit spitzen Fingern in den Mülleimer werfen, als ich stutzte. Was hinderte mich daran, eigene Erkundungen anzustellen? Für einen heimlichen DNA -Test hatte ich zwar kein mütterliches Material, aber es war immerhin möglich, durch Gernots Taschentuch zu einem Ergebnis zu kommen. Also stopfte ich seine eklige Hinterlassenschaft in eine Seifendose und stellte sie in den Kühlschrank. Über das Internet bestellte ich zwei Reagenzgläschen mit Wattestäbchen. Demnächst würde ich bei Victor einen Abstrich der Mundschleimhaut entnehmen und meine Sammlung an ein entsprechendes Labor schicken. Schließlich war es mein gutes Recht, mir Gewissheit über Victors Papa zu verschaffen.
Meine verzweifelten Bemühungen, wenigstens Steffens Handynummer zu ermitteln, waren leider erfolglos geblieben. Inzwischen pflegten wir den Kleinen bereits seit einer Woche.
Als meine Mutter überraschend hereinschneite, [216] ertappte sie mich beim Baden eines unbekannten Babys. Eine Sekunde lang starrte sie mich an wie eine Fata Morgana.
Bevor sie mir ein Loch in den Bauch fragen konnte, erklärte ich kurz und bündig, dass es ein Pflegekind und nur vorübergehend hier untergebracht sei.
Aber sie wollte alles genau wissen. »Ich würde es sofort adoptieren«, meinte sie, »es ist wirklich ein herziges Schätzchen! Könnt ihr es nicht einfach behalten?«
»Du weißt genau, dass das unmöglich ist«, sagte ich und legte dem Kind einen rosa Waschlappen auf den Kopf. »Schau mal, was für ein süßes Rotkäppchen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie er geschrien hat, als er zu uns kam!«
Meine Mutter lachte. »Darf ich ihn abtrocknen?« Und beim Rubbeln schäkerte sie: »Wem siehst du eigentlich ähnlich, mein Süßer? Deiner Mama? Bestimmt wirst du mal viele Herzen brechen, mein kleiner Vittorio!«
Später verabschiedete
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