Kuckuckskind
Kopf. »Quatsch, ich habe keine Kinder.«
»Das Leben hält immer wieder eine Überraschung für uns bereit«, sagte ich. »Hör mir jetzt mal [206] gut zu: Wie du bereits weißt, bekam Birgit im April ein Baby, es handelt sich um diesen kleinen Moses im Binsenkorb. – Inzwischen hat Steffen aber durch einen Gentest erfahren, dass er nicht der Vater sein kann. Also nützt es gar nichts, wenn du dich dumm stellst.«
Gernot schwieg eine Zeitlang, setzte zum Sprechen an, war wieder still.
Endlich begann er: »Anja, ich muss dir etwas beichten. Vielleicht hätten wir schon längst darüber sprechen sollen, aber du bist ja einfach abgetaucht und hast mir keine Chance gegeben.«
»Bitte sehr«, sagte ich, »die Chance hast du jetzt.«
Er tat sich schwer. »An jenem Tag, an dem du mich mit dieser Frau erwischt hast, erfuhr ich den Befund eines erneuten Spermiogramms. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen war die Zahl der beweglichen Samenzellen drastisch abgesunken. Die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen, gleicht inzwischen einem Lottogewinn mit sechs Richtigen. Der Urologe empfahl eine In-vitro-Fertilisation, durch die viele Paare mit Kinderwunsch doch noch Nachwuchs bekämen. – Wie du dir denken kannst, war ich völlig durcheinander und ziemlich verzweifelt.«
»Und vor lauter Verzweiflung hast du dir ein Flittchen geschnappt«, sagte ich.
[207] Sichtlich verärgert stampfte Gernot mit dem Fuß auf. »Du kannst offensichtlich niemals verzeihen. Und verstehen wirst du mich sowieso nicht! Es ist alles viel beschissener gelaufen, als du dir vorstellen kannst.«
»Inwiefern?«
»Im Büro hatten wir eine Praktikantin mit dem Spitznamen ›die Zecke‹. Sie hat sich der Reihe nach an jedem männlichen Kollegen festgebissen. Bei mir hatte sie bis dahin keinen Erfolg. An jenem Abend hätte ich unbedingt mit dir über die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung reden wollen, aber ich wusste ja, dass du bei der Chorprobe warst. Die Zecke lauerte bereits auf dem Büroparkplatz und sprang mich an.« Seine Nase lief, Gernot schluchzte, er tat sich sehr leid.
Bei so viel Bedauern spürte selbst ich eine leichte Anwandlung von Reue. Wahrscheinlich hatte ich alles falsch gemacht, eine Schwangerschaft wäre bei einer entsprechenden Behandlung vielleicht doch zustande gekommen. Ich hatte mal gelesen, dass man in solchen Fällen die brauchbaren Spermien eines Ejakulats herausfiltern kann und in einer Petrischale auf die Eizellen der Frau loslässt. Jahrelang hatte ich mir allerdings eingebildet, unsere Kinderlosigkeit läge an mir.
»Und was war mit Birgit?«, fragte ich.
[208] »Woher weißt du überhaupt davon? Aber wo wir schon beim Sündenbekenntnis sind«, knurrte Gernot, »ja, wir hatten tatsächlich eine kurze Affäre, doch es war von beiden Seiten her nichts Ernstes.«
»Aber bei diesem Spaß ist immerhin ein Baby herausgekommen«, sagte ich bitter und deutete auf Victor.
»Das kann gar nicht sein«, sagte Gernot. »Birgit behauptete, dass sie keine Kinder kriegen kann. Und bei mir ist die normale Machart fast ausgeschlossen.«
»Vielleicht hat sich dein Arzt geirrt, schließlich ist auch Birgit von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Selbst Lottospieler landen gelegentlich einen Volltreffer. – Solltest du aber recht haben, wäre es dann denkbar, dass sie noch einen anderen Liebhaber hatte?«, fragte ich.
Gernot nickte. »Der Verdacht kam mir letztes Jahr, als wir gemeinsam nach Frankreich reisten; schon nach zwei Tagen wollte mich Birgit loswerden. Damit beendete sie unser Verhältnis ziemlich abrupt, den Grund habe ich nie erfahren.«
Ein großer Held im Lügen war mein Exmann nie gewesen, ich glaubte ihm beinahe. Wir sahen uns eine Weile wortlos und traurig an.
»Eines verstehe ich allerdings nicht. Warum hast du dieses Wickelkind bloß hergebracht?«, fragte [209] Gernot. »Nur um mich zu demütigen? Soll ich es etwa ins Steuerbüro mitnehmen? Oder sind Birgit die Mutterpflichten über den Kopf gewachsen?«
»Sie wurde bei der Polizei als vermisst gemeldet. Als Steffen das Ergebnis des Vaterschaftstests erfuhr, verlor er völlig die Nerven. Er ist anscheinend handgreiflich geworden, und Birgit ist daraufhin Hals über Kopf davongebraust. Steffen befürchtete, sie könnte sich etwas antun; bevor er sie suchen ging, wollte er den Kleinen bei dir abliefern. Zum Glück warst du nicht zu Hause, sonst hätte er dich sicherlich zusammengeschlagen.«
»Wie aufmerksam, dass du
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