Kuckucksmädchen
Jonathan verbringe, verfallen wir in so einen merkwürdigen Pärchenmodus mit extrem einfallslosem Rollenverhalten. Dieses Rollenverhalten zwingt mich dazu, samstagmorgens noch vor neun Uhr auf den Markt zu gehen, um vormittags einen Nudelsalat für die Party von Sandra und Dirk zuzubereiten. Jonathan bringt für seinen Teil das Auto zur Waschanlage, bevor wir nachmittags zusammen zu der Party von Sandra und Dirk oder irgendeinem anderen befreundeten Pärchen in irgendeinem Hamburger Innenhof fahren. Dort hängen wir etwas gelangweilt herum und können noch nicht mal zum Zeitvertreib andere Gäste anbaggern, weil wir uns ja dummerweise gegenseitig mitgebracht haben. Rauchen darf ich auch nicht (mindestens ein Drittel der Anwesenden ist schwanger), und saufen kann ich nicht (dazu wird schon Jonathan von seinem Rollenverhalten gezwungen, und irgendwer muss ja nach Hause fahren). Aus Frust stopfe ich mich mit Biowürstchen voll und lobe den selbst gemachten Ketchup der Gastgeberin. Am Ende des Abends ertappe ich mich dabei, Salatrezepte auszutauschen und das in dem Moment sogar ernst zu meinen.
Am Sonntag gehen wir spazieren, damit »man endlich mal wieder ins Grüne kommt«. Dabei sitzen wir die meiste Zeit im Auto, denn das Grüne ist immer sehr weit weg. Abends sitzen wir dann wieder, diesmal vorm Fernseher. Das unvermeidliche, sonntägliche »Das-Wochenende-ist-vorbei-Gefühl«, das sich während des Tatorts einstellt, muss ich wohl niemandem mehr beschreiben. Und während wir so nebeneinandersitzen, beschleicht uns still und heimlich das schlechte Gewissen, weil wir schon wieder nicht gevögelt haben, obwohl wir theoretisch das ganze Wochenende dazu Zeit gehabt hätten.
Nein, dieses Wochenende werde ich im Singlemodus verbringen, und auch hierfür gibt es ein ausgeprägtes Rollenmuster. Es dauert eine Weile, bis ich wieder hineinfinde, aber dann funktioniert es ganz wunderbar: Morgens gehe ich nicht zum Markt, ich kaufe kein frisches Gemüse, ich gehe überhaupt nicht raus, und deswegen ziehe ich mich auch gar nicht erst an. Im Stehen frühstücke ich die Reste vom Abendessen und schalte den Fernseher an. Den Vormittag verbringe ich damit, alle Folgen der dritten Staffel von Breaking Bad zu schauen und nebenbei eine perfekte Maniküre hinzulegen. Nachmittags wird mir ein bisschen langweilig (was für ein Gefühl!), ich telefoniere nacheinander mehrere Freundinnen ab, von denen die meisten im Pärchenmodus sind und gerade auf irgendwelchen Gartenpartys. Ich schaue noch mehr Filme und ziehe immer noch keinen BH an, bis ich irgendwann richtig Hunger bekomme und um einundzwanzig Uhr zum Lidl gehe â der alten studentischen Zeiten wegen und weil das der einzige Laden ist, der samstags um diese Zeit noch geöffnet hat.
Wenn ich zu lange allein in meiner Wohnung gewesen bin, vergesse ich manchmal, wie viele Menschen sich in der Welt da drauÃen aufhalten. Und wie gut die alle angezogen sind. Beim Spiegelcheck zu Hause sah das mit der in die Stiefel gestopften Jogginghose noch irgendwie lässig aus; jetzt komme ich mir plötzlich sehr schäbig vor. Ich sehe aus, als hätte ich meinen Schlafanzug noch an, und wenn man ehrlich ist, ist das ja auch der Fall. Ich senke den Blick und wusele mich durch. Hoffentlich treffe ich jetzt niemanden, den ich kenne.
Im Lidl stoÃe ich an meine Belastbarkeitsgrenze im Singlemodus, der Laden sieht um diese Zeit aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Hier und da ziehen fünfzehnjährige Raver eine Packung Chips aus den Kartonruinen, ein paar Penner kaufen unter den strengen Augen der Sicherheitsleute ihre Flasche Korn für die Nacht. In riesigen Kühltruhen liegen Berge von billigem Fleisch, in Plastik verschweiÃt und mit neonfarbenen Etiketten beklebt. Sofort bereue ich es, heute nicht auf den Wochenmarkt gegangen zu sein. Schnell suche ich die Sachen für ein Pesto zusammen, wenn ich schon mal hier bin, Parmesan und Pinienkerne sind im Bioladen ja nie zu bezahlen.
Als ich realisiere, wer vor mir an der Kasse steht, ist es schon zu spät. Wie hypnotisiert starre ich auf Phillips Nacken und bekomme einen SchweiÃausbruch. Warum muss ich mich immer an der falschen Kasse anstellen? Auf der Liste von Leuten, die ich in meinem Zustand nicht treffen will, hat Phillip einen Ehrenplatz ganz oben.
Phillip, der mir auf einer Party aufgefallen war, weil er als einziger Mann seinen
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