Kuckucksmädchen
näherer Betrachtung nur Hülsen, und sosehr ich mich auch bemühte, sie aufzuwerten, aneinanderzureihen, eine Konversation herzustellen â ich blieb erfolglos. Meine GroÃeltern lieÃen die Worthülsen des jeweils anderen fallen, ohne sie überhaupt richtig angesehen zu haben.
Ich habe mir strengstens verboten, darüber nachzudenken, wie wir die Räume aufteilen würden, falls Jonathan und ich hier einziehen sollten. Aber es ist wie die Sache mit dem rosa Elefanten: Es funktioniert einfach nicht. Immer wieder schiebe ich in Gedanken meinen alten Schreibtisch vor das wunderbar groÃe Wohnzimmerfenster. Oder ich ertappe mich dabei, mir vorzustellen, wie wir die Tür zwischen Schlaf- und Badezimmer herausreiÃen. Wie wir die unter dem Teppich versteckten Dielen abschleifen. Ich sehe Jonathan und mich auf dem FuÃboden hocken, während wir den freigelegten Holzboden einölen.
Diese Gedanken wären bis hierhin sogar noch okay. Wenn ich nur nicht weiterdächte. Wenn ich mir nicht im nächsten Schritt vorstellen würde, wie wir unser hart verdientes Geld in ein neues Bücherregal stecken. Wenn ich mich nicht fragen würde, nach welchem Schema wir unsere Bücher dort einsortieren werden. Geordnet nicht nach »Mein« und »Dein«. Sondern nach Autoren, Themen oder Farben. Wenn wir in der Küche unsere Teller in die Schränke räumen würden, meine blassrosa Flohmarktteller zwischen seine schneeweiÃen Designerteller. Wenn sich die Dinge vermischen bis ins Kleinste, bis hin zu unseren schwarzen Socken auf einem Wäscheständer. Und dadurch am Ende eine einzige feste, nicht mehr zu teilende Einrichtungsmasse entsteht. Eine Einrichtungsmasse, die jedem zu erkennen gibt: Das sind die Sachen von Wanda und Jonathan, die beiden haben sich langfristig füreinander entschieden. Denn Wanda ist dreiÃig und seit drei Jahren mit Jonathan zusammen und braucht einen neuen Sinn für ihre Brüste, und Jonathan ist genau die richtigen vier Jahre älter als sie und auÃerdem ein sehr netter junger Mann. Sie sind zur gleichen Zeit am gleichen Ort, und sie lieben sich auf diese hübsche Art und Weise, warum also sollten sie sich nicht festlegen?
Und nur ein paar Gedanken weiter wartet die Angst auf mich. Dass Jonathan und ich die falsche Option sind. Dass wir uns gegenseitig die Zeit rauben und es erst Jahre später merken. Dass alles, was am Ende von uns übrig bleibt, eine fest verschmolzene Einrichtungsmasse ist, die wir verzweifelt versuchen, wieder auseinanderzuteilen.
In den drei Jahren, die ich mit Jonathan zusammen bin, war ich immer peinlich darauf bedacht, unsere Sachen nicht zu sehr zu vermischen. Ich achte darauf, dass meine Dinge bei mir bleiben und seine Dinge bei ihm. Wenn ich eine DVD zum Filmeabend mitbringe, hole ich sie am Morgen darauf aus dem Player, bevor ich die Wohnung verlasse. Auch Unterwäsche, Zahnbürsten und Ladegeräte liegen nicht länger bei Jonathan herum als unbedingt nötig. Denn wenn diese Dinge zu viel Zeit in seiner Wohnung verbringen, passiert etwas Seltsames: Sie verändern sich. Sie sind nicht länger nur das, was sie vorher waren: eine DVD, die ich von Anika geschenkt bekommen, ein Höschen, das ich im Dreierpack bei H&M gekauft habe.
Die Dinge laden sich auf. Während sie in Jonathans Wohnung herumliegen, gewinnen sie an Bedeutung. Das Höschen wird von ihm gewaschen und wie eine Requisite an die Klinke seiner Schlafzimmertür gehängt, an der wir wochenlang nicht vorbeigehen können, ohne einen bescheuerten Witz zu machen. Die DVD liegt so lange auf dem DVD-Player, bis sie mit den anderen DVDs eine Einheit bildet und nirgendwo anders mehr wohnen kann als eben auf Jonathans staubigem DVD-Player. Lasse ich diese Dinge auch nur ein bisschen zu lange in seiner Wohnung liegen, füllen sie sich an mit Geschichten und Gefühlen. Und wenn wir uns trennen, werden es diese Gegenstände sein, die den Schmerz bringen. Weil sie irgendwann zurückgetauscht werden und ihre Geschichte weitererzählen. Ich werde das Höschen nicht mehr anziehen können, ohne an Jonathans Hände auf meinem Po zu denken, und der Anblick der DVD wird mich daran erinnern, wie wir abends gemütlich auf seinem Sofa vor der Glotze gelegen haben. Ich bin seit drei Jahren darauf vorbereitet, jederzeit aus Jonathans Leben verschwinden zu können, ohne eine einzige Zahnbürste zu hinterlassen, die ihm
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