Kuckucksmädchen
Nudelsalatteller nicht in die überladene Spüle schmiss, sondern in die Spülmaschine stellte. Phillip, der mich zum Essen ausführte und danach tatsächlich auch die komplette Rechnung bezahlte. Phillip mit den spieÃigen Eltern, denen einzig und allein wichtig war, welchen Studienabschluss ihr Sohn machte, damit er viel Geld verdienen konnte.
Phillip war der erste Mann, mit dem ich zusammengezogen bin. Und bis heute der einzige. Ich verstehe immer noch nicht so richtig, wie es dazu kommen konnte. Dazu, dass ich überhaupt mit ihm zusammengezogen bin, meine ich. Vielleicht lag es daran, dass unserer Mädchen-WG langsam die Luft ausging. Die Partys dort wurden von Mal zu Mal weniger ausgelassen, wir hatten kaum noch Studenten in unserem Freundeskreis, und ich ertappte mich dabei, von so etwas wie einem kompletten Wohnzimmer zu träumen anstatt einer Küche mit Sofa. Ganz sachte und fast unbemerkt spülte mich die Zeit raus aus diesem »Lebensabschnitt Wohngemeinschaft«, und da ich mich nicht festhielt, sondern treiben lieÃ, landete ich in Phillips offenen Armen.
Unauffällig versuche ich mich zurückzuziehen, gehe ganz vorsichtig und langsam rückwärts, bis zu dem Moment, in dem er sich umdreht. Er muss mich gerochen haben, und das ist tragischerweise noch nicht mal unrealistisch.
Allererste und oberste Regel beim Exfreunde treffen: aussehen wie eine Göttin. Noch besser: aussehen wie eine Göttin, die frisch vom Friseur kommt, gerade vier Kilo abgenommen hat und gut gelaunt auf dem Weg zur besten Party ihres Lebens ist.
Diese Regel habe ich soeben gebrochen. Ich habe einen Schlafanzug an, fettige Haare, Augen, wie man sie nur nach sechs Stunden Fernsehen hat, aber wenigstens, Gott sei Dank, ich trage einen BH.
Phillip sieht natürlich phantastisch aus. Schwarze Locken, Dreitagebart, die Hose sitzt wie immer tief. Aber ich lasse mich nicht täuschen, ich kenne den SpieÃer in ihm.
»Wanda, hallo.«
Er umarmt mich kurz, verdächtig kurz, aber leider nicht kurz genug. Er scheint sich wirklich zu freuen.
»Wie schön, dich zu treffen. Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen. Du siehst fertig aus.«
»Danke, ich komme grad vom Sport.«
»Ah, das riecht man. Und, wie gehtâs so?«
In den folgenden vier Minuten schmeiÃen wir Phrasen hin und her, während ich mir verlegen durch die fettigen Haare fahre und beschämt auf das Rollband starre. Wenn ich doch wenigstens ein bisschen Rouge, einen Hauch Deo ⦠Wir bezahlen und stehen etwas unschlüssig neben den Punks vorm Lidl.
»Du hast nicht zufällig Lust, mit zu uns zu kommen? Larissa kocht gerade.«
Ein guter Scherz. »Total gerne, Phillip. Aber ich habe leider so gar keine Zeit ⦠Vielleicht ein anderes Mal?«
»Ja klar, vielleicht morgen Abend?«
Warum eigentlich nicht. Ich könnte mich vorbereiten, bezaubernd aussehen, gut riechen, unterhaltsam und selbstbewusst sein. Ein bisschen rumglänzen, ein bisschen angeben und mich davon überzeugen, dass es richtig war, Schluss gemacht zu haben. Mit ein wenig Glück würde ich die beiden dann sitzen lassen in ihrer SpieÃeridylle und Jonathan wieder besser zu schätzen wissen.
»Gut. Morgen.«
»Super. Um acht? Du weiÃt ja, wo â¦Â«
Ja, mein Lieber. Ich weiÃ, wo. Das weià ich nur allzu gut.
Mit den Bildern fange ich an. Vorsichtig nehme ich dicke goldene Rahmen von den Wänden. In den Rahmen: Ãpfel, Bananen und Orangen in Ãl. Artischocken in Ãl. Tiere in Ãl. Zwei Hirsche, ein Hund und vier Rebhühner in Ãl. Wälder in Ãl. Winterlandschaften in Ãl, Sommerlandschaften in Ãl, Sonnenuntergänge in Ãl. Ãlmalerei scheint etwas gewesen zu sein, auf das sich meine GroÃeltern einigen konnten, als sie noch lebten. Ãl und Schweigen. Ich habe sie nur selten miteinander sprechen sehen und erinnere mich an endlos stille Nachmittage, an denen ich als Kind oder Jugendliche versucht hatte, die Stille zwischen den beiden zu vertreiben. Denn mit mir redeten sie.
Ich habe nie verstanden, ob sie ein Abkommen geschlossen hatten oder ob ihnen die Worte einfach verloren gegangen waren. Um die Stille am Abendbrottisch nicht länger ertragen zu müssen, fragte ich meine GroÃmutter etwas, und wenn sie mir antwortete, nahm ich ihr letztes Wort und reichte es an meinen GroÃvater. Aber alle Worte, die ich auffing und weitergab, waren bei
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