Küchenfee
geeilt, dass er beinahe über den Saum seiner Toga gestolpert wäre. Er küsste ihr die Hand. Vanessa sah über seinen gebeugten Kopf hinweg starr zu Lilli. Dann wandte sie ihren Blick Scheffler zu, lächelte strahlend, sagte ein paar Worte und kam dann gemeinsam mit ihm auf Lilli zu. Vanessa ließ den Blick über die angebotenen Speisen schweifen. Ohne ihre frühere Freundin und Angestellte anzusehen, lächelte sie dünn und sagte: »Das sieht ja alles recht hübsch aus.«
Scheffler, der Vanessa unverhohlen von der Seite anschmachtete, nickte eifrig. »Ja, nicht wahr? Wir sind sehr erleichtert, Frau Kamlot. Wir dachten ja zuerst, nach Ihrer Absage … Sie können sich denken, wie schockiert wir waren.«
Vanessa kräuselte die Lippen. »Nun ja, eigentlich ist das alles hier ja trotzdem eine Camelot -Produktion. Immerhin hat unsere gute Frau Berger hier«, sie warf Lilli einen eisigen Blick zu, »mit den Planungen meines Kochs gearbeitet, der im Übrigen Frau Berger auch drei Jahre lang in meinem Restaurant geschult hat, wie Sie wissen. Aber Frau Berger hat es vorgezogen, meine Küche zu verlassen, obwohl sie erst durch das Talent und die Geduld meines Kochs überhaupt in die Lage versetzt wurde, eine leidlich gute Figur abzugeben.«
Scheffler sah entsetzt zwischen Vanessa und Lilli hin und her. Er hob beschwörend die Hände. »Aber Frau Kamlot, ich kann Ihnen versichern … Wie ich Frau Berger gerade schon gesagt habe, wir sind mehr als zufrieden mit dem Fest.« Scheffler konnte nur noch stammeln. Er war sichtlich erleichtert, als er vom Intendanten des Theaters zu sich gerufen wurde. »Die Damen entschuldigen mich?« Er raffte hastig seine Toga und ergriff die Flucht.
»Was ist los, Lilli?« Vanessa lächelte süffisant, pickte sich mit spitzen Fingern eine Aprikose vom Büffet und biss hinein. »Du sagst ja gar nichts.«
»Ich wüsste nicht, was wir zu besprechen hätten.« Ärgerlich bemerkte Lilli, dass ihre Stimme zitterte.
»Du bist blass, meine Liebe. Du siehst überarbeitet aus«, fuhr Vanessa fort und ließ den Aprikosenkern auf den Boden fallen. Sie beugte sich ganz nah zu Lilli und sagte leise: »Das ist das letzte Mal, dass du mir einen Auftrag weggeschnappt hast, hörst du?« Sie wandte sich ab, drehte sich dann aber noch einmal zu Lilli um. »Ach, da fällt mir ein – kümmere dich mal um deinen Mann. Du kannst ihn zurückhaben, er wird mir allmählich lästig.«
Damit stolzierte sie davon.
Lilli stand wie versteinert und starrte Vanessa hinterher. Bei jedem ihrer Schritte blitzten die feuerroten Sohlen ihrer Schuhe auf. Lillis Gesichtsfeld verengte sich immer mehr, bis sie außer Schwärze nur noch die roten Sohlen sah, die eine feurige Spur zu hinterlassen schienen. Dann übertönte das immer lauter werdende Rauschen in Lillis Ohren alle anderen Geräusche, und sie wurde ohnmächtig.
Gina stand am anderen Ende der Bühne, als sie Vanessa Kamlot hereinkommen sah. Mit gerunzelten Augenbrauen beobachtete sie, wie Vanessa mit Horst Scheffler zum Büffet ging. Gina unterhielt sich gerade mit dem Pressechef des Theaters, der über einen unerschöpflichen Vorrat an fantasielosen Komplimenten zu verfügen schien. Über seine Schulter hinweg versuchte sie, das Büffet im Auge zu behalten. Sie sah den kurzen Wortwechsel zwischen Vanessa und Lilli und wie ihre Freundin daraufhin kreidebleich wurde.
Gina entschuldigte sich bei ihrem Gesprächspartner und eilte durch die Gäste in Richtung Büffet. Sie verfiel in Laufschritt, als sie Lilli fallen sah, und zerrte ihr Handy, das sie für Notfälle dort in einer Tasche deponiert hatte, unter ihrer Robe hervor und wählte. »Tobi?«, rief sie atemlos. »Tobi, stell jetzt keine Fragen. Nimm sofort deinen Roller und fahr zum Camelot , schnell. Bring Monsieur Pierre ins Theater! Ich sag ihm Bescheid.«
Sie raffte ihre Robe, um schneller rennen zu können. Gott sei Dank konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Gäste gerade auf die Vorführung der antiken Opferzeremonie, die von einem eigens dafür engagierten Darsteller nach historischem Vorbild zelebriert wurde. Niemandem war aufgefallen, was sich am Büffet abgespielt hatte.
Monsieur Pierre hatte schlechte Laune. Vanessa Kamlot hatte mit ihren wortreichen, täglichen Monologen über die desolaten Zustände in der Küche des Restaurants nicht übertrieben, das wusste er jetzt. Er war gerade dabei, auf einem Teller einen Saucenspiegel für eine Portion Lammnüsschen zu legen, als sein Handy
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