Kuehler Grund
der sengenden Sonne lassen. Die beiden waren im Stall gewesen, im Schatten. Darum war ihre Haut so sauber.«
»Und so weiß.«
»Aye. Es waren ja auch Middle Whites. Manche Leute schwören auf die alten Rassen, aber die Whites wachsen besser.«
Cooper schloss die Augen. Er spürte, dass ihm das Gespräch entglitt. Absurderweise musste er daran denken, wie er als Junge versucht hatte, in den Bächen um Edendale Fische zu fangen. Er wusste, wo sie waren, in welchen dunklen Ecken sie sich verbargen, und er konnte sie im Wasser fast mit den Händen greifen, aber dann brauchten sie bloß ein paar Mal zu zappeln, und schon waren sie ihm wieder entschlüpft, jedes Mal. Plötzlich überkam ihn eine tiefe Niedergeschlagenheit, und er fragte sich, was er sich von diesem Besuch heute Abend überhaupt versprochen hatte. Er war hier völlig fehl am Platze. Nur wusste er im Moment leider auch nicht, wo er besser hingepasst hätte.
Er leerte sein Glas und stand auf.
»Wollen Sie schon gehen?«, fragte Sam. »Haben Sie etwas gegen unsere Gesellschaft?«
»Ich vergeude nur meine Zeit«, sagte Cooper und ging zur Tür.
Der Himmel war noch hell, und es war ein warmer Abend. Cooper blieb einen Augenblick stehen, atmete die abgestandene Luft ein und sah zur Silhouette der Raven’s Side hinauf, die das Dorf überragte. Dabei erinnerte er sich, dass es doch einen Ort gab, wo er hingehörte, wo er schon immer hingehört hatte.
Die Tür des Wirtshauses stand offen, um die Hitze hin auszulassen, und er hörte niemanden kommen. Doch dann drang eine Stimme an sein Ohr, die er wieder erkannte.
»Wenn Sie die richtigen Fragen stellen, bekommen Sie auch die richtigen Antworten.«
»Ach ja? Da bin ich mir nicht so sicher, Mr. Dickinson. Im Moment kommt mir alles ziemlich sinnlos vor.«
Harry sah ihn verständnisvoll an. »Haben Sie die Nase voll?«
»Das können Sie laut sagen.«
»Sie haben sicher den schwarzen Hund, mein Junge.«
»Was?«
»Das haben wir früher immer zu den jungen Leuten gesagt, wenn sie geschmollt haben oder jähzornig wurden. ›Du hast den schwarzen Hund im Nacken‹, hieß es dann. Und ich glaube, das gilt auch für Sie.«
Schmollte er? Das hatte schon lange niemand mehr zu ihm gesagt. Er war schließlich kein launischer Jugendlicher mehr.
»Ja, den Spruch kenne ich. Danke.«
»Keine Ursache, mein Junge.«
Seit ihm der alte Mann den Ausdruck erklärt hatte, erinnerte sich Cooper tatsächlich daran. Wie aus weiter Ferne hörte er, wie seine Mutter ihm wieder einmal vorwarf, er hätte den schwarzen Hund. Es war eine dieser rätselhaften Formulierungen, die man als Kind nur halb begriff. Der schwarze Hund. Wörter mit einem unheimlichen Klang, die seine Phantasie anregten. Er hatte das Gefühl, dass sich der junge Ben Cooper dabei eine riesige, Angst einflößende Bestie vorgestellt hatte, die mit blutunterlaufenen Augen und triefenden Lefzen aus dem Moor auftauchte. In diese Erinnerung mischten sich auch die Geschichten, die ihm seine Großmutter Cooper vom legendären Black Shuck und dem Barguest erzählt hatte, Riesenhunden mit glühenden Augen, die unglückseligen Reisenden nachts auf der Straße auflauerten und sie geradewegs in die Hölle verschleppten.
»Du hast den schwarzen Hund im Nacken«, so hatte es immer geheißen. Kein sehr schönes Bild. Nachdem es sich erst einmal in seinem Kopf festgesetzt hatte, wurde er es nicht mehr los. Es tauchte in seinen Albträumen auf und riss ihn mit schnappenden Kiefern und wilden Augen aus dem Schlaf. Als Kind hätte er alles getan, um sich von dem schwarzen Hund zu befreien. Normalerweise half ihm seine Mutter dabei. Sie konnte ihn immer aufheitern und seine Trübsinnigkeit vertreiben.
Heute allerdings, wo sich ihre Rollen vertauscht hatten, war er nicht im Stande, seiner Mutter zu helfen, sich von dem riesigen schwarzen Hund zu befreien, der sie quälte.
Harry musterte ihn scharf, das lange Schweigen kam ihm verdächtig vor. Cooper schüttelte sich und starrte seinerseits den alten Mann an.
»Ich muss los, Mr. Dickinson. Vielleicht sieht man sich.«
»Ganz bestimmt, mein Junge.«
Wenige Minuten später saß Cooper auf der Raven’s Side und sah über das im Dämmerlicht liegende Tal nach Win Low hinüber.
Er mochte die Namen der Berge in diesem Teil des Peak District, in denen noch ein Anklang an die Zeit der dänischen Eroberer mitschwang, die Derbyshire mehrere Jahrzehnte lang besetzt gehalten hatten. In der Schule hatte er gelernt, dass der
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