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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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hm?«
    Er sah am Kopf des Superintendenten vorbei. An der Wand hing ein großes gerahmtes Foto, Dutzende von feierlich dreinblickenden Männern, die sich in langen Reihen zum Gruppenbild aufgestellt hatten. Es war die gesamte uniformierte Polizeitruppe der Edendale Section, aufgenommen anlässlich einer königlichen Visite in den achtziger Jahren. Cooper konnte sich noch gut an das Ereignis und an das Foto erinnern. In der zweiten Reihe, zwischen den anderen Sergeants, stand sein Vater.
    »Ich verstehe, Sir. Es macht nichts. Es macht überhaupt nichts.«
    Der Arzt hatte ihnen erklärt, dass Isabel Cooper ein starkes Neuroleptikum bekommen hatte. Er hatte ihnen den Namen des Medikaments buchstabiert, und Cooper hatte ihn sich gewissenhaft aufgeschrieben. Chlorpromazin. Es blockiere die Dopaminrezeptoren und verursache Veränderungen im Nervensystem, welche zu Nebenwirkungen führen könnten, sagte der Arzt.
    Als Cooper am Bett seiner Mutter saß, hatte er den Eindruck, als bewegte sie unaufhörlich die Lippen, die Zunge und die Gesichtsmuskeln. Sie schnitt Grimassen und wühlte mit der Zunge im Mund herum, als ob sie Essensreste zwischen den Zähnen hätte. Auch ihre Beine waren unter der Decke in ständiger Bewegung, sie strampelte wie ein Radrennfahrer.
    Der Arzt hatte es sich nicht nehmen lassen, Ben und Matt darauf hinzuweisen, dass die Medikamente ihre Mutter nicht heilen würden. Schizophrenie sei unheilbar, man könne lediglich die schwersten Symptome mildern. Die Liste der Symptome schien kein Ende nehmen zu wollen – Denkstörungen, Verfolgungswahn, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, körperliche Verwahrlosung, Kontaktstörungen, Angst- und Erregungszustände. Ihr Leiden könne sich nur verschlimmern. Gelegentlich allerdings könne sich ihr Zustand vorübergehend bessern, und Mrs. Cooper würde fast wieder so sein wie früher. Der Arzt schien zu glauben, dass die Brüder diese Auskunft als tröstlich empfinden würden.
    »Ich falle euch doch allen nur noch zur Last«, sagte Isabel und sah Ben mit alten Augen an.
    »Nein, Mum. Natürlich nicht. Mach dir keine Sorgen.«
    »Bist du das, Ben?«
    »Ja, Mum. Ich bin hier.«
    Er saß schon fast vierzig Minuten neben dem Bett und unterhielt sich mit ihr. Matt war nach einer halben Stunde hinausgegangen. Er musste an die frische Luft, wie er sagte.
    »Du bist ein lieber Junge. Es geht mir nicht gut, nicht wahr?«
    »Du wirst schon wieder gesund, Mum.«
    Sie wandte ihm den Kopf zu und tastete, hilflos grinsend und blinzelnd, nach seiner Hand. Ein dünner Speichelfaden war ihr auf das Nachthemd gelaufen. Eine kleine Vase mit weißem Gipskraut stand auf dem Nachtschränkchen, weiß wie die Bettwäsche, weiß wie ihre Haut. Es war so warm in dem Krankenzimmer, dass Cooper schwitzte, aber die Hand seiner Mutter war kalt und klamm.
    »Du bist genau wie dein Dad«, sagte sie. »Ein Bild von einem Mann.«
    Er lächelte sie an und drückte ihre Hand, obwohl ihm vor der Frage graute, die als nächstes kommen musste. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte.
    »Bist du schon verheiratet, Ben?«
    »Nein, Mum. Das weißt du doch.«
    »Du findest sicher bald ein nettes Mädchen. Ich würde dich gern verheiratet sehen und Kinder haben.«
    »Das wird schon.«
    Er wusste, dass seine Antwort sinnlos war. Aber in seinem ganzen Wortschatz schien es keine Begriffe zu geben, aus denen sie beide Sinn und Trost hätten schöpfen können.
    Isabels Schultern zuckten, ihre Beine zappelten und raschelten unter der Decke wie unruhige Tiere. Sie schob die Zunge heraus, während sie sich, verwirrt blinzelnd, im Zimmer umsah. Dann konzentrierte sie sich auf ihren Sohn. Sie suchte sein Gesicht, ihr Blick verzweifelt und flehend. Eine stumme Bitte lag darin, ein letzter Wunsch.
    »Genau wie dein Vater«, sagte sie.
    Er wartete. Seine Muskeln waren starr, sein Kopf leer. Er war wie ein Kaninchen, das auf den tödlichen Biss wartete. Er hielt den Atem an, bis ihm die Lunge wehtat. Er wusste, dass er sie nicht würde enttäuschen können.
    »Haben sie dich schon zum Sergeant befördert, Ben?«
    »Ja, Mum«, sagte er, obwohl ihm die Lüge das Herz zerriss.

21
    Es war Diane Frys erster Besuch in der Villa. Die Dekosäulen, die Dreiergarage und das schmiedeeiserne Tor konnten sie nicht beeindrucken. Sie empfand das Haus als geschmacklos, ein weißer Kasten, der sich auffällig von dem dahinterliegenden Tal abhob und überhaupt nicht zu den nur wenige Meter entfernten Cottages passte. Als ob man es

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