Kuehler Grund
aus einem Vorort von Birmingham hierher verpflanzt hätte. Aus Edgbaston oder Bournville vielleicht. Es fügte sich nicht im Geringsten in die Landschaft ein.
Sie hatte die Aufgabe, ein Gespräch mit Charlotte Vernon zu führen, und zwar im Hinblick auf die Befragungen ihres Mannes und Sohnes durch DCI Tailby. Charlotte hatte bis jetzt noch nicht viel gesagt, aber sie hatte auch kaum im Zentrum des Interesses gestanden. Doch nun hatten sich neue Fragen ergeben, vor allem Fragen über Lee Sherratt. Obwohl er noch immer den aussichtsreichsten Tatverdächtigen abgab, hatte Mr. Tailby eine mögliche Tatbeteiligung der Familie nie außer Acht gelassen. Womöglich besaß Charlotte Vernon den Schlüssel zur Lösung des Falles, so oder so.
Daniel Vernon öffnete ihr die Tür. Er machte einen sehr bedrückten, düsteren Eindruck auf Fry und hatte wenig Ähnlichkeit mit der Beschreibung des zornigen jungen Mannes aus den Berichten. Doch als sie ihm den Anlass für ihren Besuch nannte, führte er sie wort- und blicklos durch das Haus, auf jeden Anschein von Höflichkeit verzichtend. Schade, dass er ein hieb- und stichfestes Alibi hatte.
Die Beamten hatten Charlotte Vernon als attraktiv beschrieben, wenn nicht sogar als sehr attraktiv. Fry hatte die verhätschelte Frau eines reichen Mannes erwartet, die sich ausschließlich um ihr Aussehen und ihre Fitness kümmerte, das Haar teuer gestylt, das Make-up tadellos. Stattdessen fand sie eine müde, resignierte Enddreißigerin vor. Sie trug tatsächlich Make-up. Einen Mann hätte sie damit vielleicht täuschen können, aber Fry erkannte, dass sie sich ohne innere Überzeugung geschminkt hatte.
Charlotte trug eine cremefarbene Hose und eine Seidenbluse. Sie sah elegant aus, aber das war auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie für Hunderte von Pfund Garderobe am Leib hatte. Fry war durchaus bereit gewesen, Mitgefühl für die Frau zu entwickeln, die gerade ihre Tochter verloren hatte. Sie war bereit, die Aussage des Sohnes zu vergessen und sich die Version der Mutter unvoreingenommen anzuhören. Doch dann war ihr auf Anhieb die ganze Art unsympathisch, wie sich die Frau in einem Sessel niederließ, den Kopf schräg legte und sich eine Zigarette anzündete. Sie kräuselte die Lippen und betrachtete ihr Gegenüber kritisch von oben bis unten. Fry bekam keine Gelegenheit für Mitgefühl, da Charlotte Vernon sofort zum Angriff überging.
»Sie brauchen mich nicht mit Samthandschuhen anzufassen. Es geht mir wieder gut.«
»Ich hätte einige Fragen an Sie, Mrs. Vernon.«
»Ja. Ich habe Sie bereits erwartet. Natürlich war Dan bei Ihnen. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Der arme Junge – wenn es um Sex geht, hat er solche Komplexe. Manche Männer brauchen ewig, um erwachsen zu werden. Dan leidet an verzögerter Pubertät.«
»Ihr Sohn hat eine Aussage hinsichtlich Ihres Verhältnisses zu Lee Sherratt gemacht, Mrs. Vernon.«
»Sie wollen sagen, er hat herausgefunden, dass ich Sex mit dem Gärtner hatte, Kindchen?«
Fry starrte sie ausdruckslos an. Sie befanden sich in einem Zimmer mit wunderschönen alten Möbeln mit polierten, aufgeräumten Flächen. An den Wänden hingen drei oder vier große Aquarelle, und ein Parkettboden führte zu einer Flügeltür. Dahinter lag eine gepflasterte Terrasse mit einer Steinbalustrade.
Fry hätte zu gern das Badezimmer und die Küche erkundet. Sicher gab es in der Villa einen Whirlpool, einen Automatikherd, Einbauschränke, einen Kühlschrank mit Abtauautomatik und eine digitale Mikrowelle.
»War es so, Mrs. Vernon?«
»Sicher. Es war nur ein paar Mal, aber wir sind beide auf unsere Kosten gekommen. Er war nicht sehr subtil, aber dafür mit Feuereifer bei der Sache. Und er ist phantastisch gebaut. Bei einer Frau in meinem Alter ist es gut für die Moral, wenn einem immer noch die jungen Männer nachlaufen.«
»Ging die Initiative von Ihnen aus?«
»Ob ich ihn verführt habe? Ja. Es war nicht schwer.«
»Wann hat Ihr Mann davon erfahren?«
Charlotte zuckte die Achseln. »Das weiß ich wirklich nicht. Ist es denn wichtig?«
»Ich denke schon.«
»Warum?«
»Weil er sicher etwas dagegen hatte.«
»Sie vermuten falsch, meine Liebe. Er geilt sich daran auf, der gute alte Graham. Das ist für uns beide praktisch. Ich kann so viele Liebhaber haben, wie ich will, ohne Komplikationen befürchten zu müssen. Graham gestehe ich natürlich das gleiche Recht zu.«
»Aber er hatte etwas dagegen oder nicht? Er hat Sherratt
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