Kuehler Grund
angerempelt, ohne sich um die neugierigen Blicke der anderen Gäste zu kümmern.
Der Wirt kam erneut hinter der Theke hervor, um mit ihm zu reden.
»Ich will dich nicht in meiner Nähe haben, Fry«, sagte Cooper unter Aufbietung des letzten Rests an Würde, der ihm noch geblieben war. »Bleib mir vom Leib. Okay?«
Fry knirschte mit den Zähnen. Sie musste sich beherrschen, sonst hätte sie ihn ins Gesicht geschlagen. Er kippte den letzten Rest Whisky runter und wankte in die Nacht hinaus. Ihr war klar, dass sie ihm folgen und ihm die Autoschlüssel abnehmen musste, wenn nötig mit Gewalt, damit er sich nicht ans Steuer setzen konnte. Andererseits hätte sie ihn am liebsten seinem Schicksal überlassen.
»Sind Sie eine Freundin von ihm?«, fragte der Wirt, der ihr über die Schulter sah.
»So was Ähnliches.«
»Ein guter Rat – in dem Zustand sollte man ihn nicht alleine durch die Gegend wandern lassen.«
»Ich bin nicht sein Kindermädchen. Auch wenn es vielleicht so aussieht, aber ich bin es nicht.«
»Bringen Sie ihn nach Hause, oder lassen Sie mich ein Taxi rufen. Aber man darf ihn nicht alleine auf die Straße lassen.«
»Okay, okay.«
Sie trat vor die Tür, blieb einen Augenblick im Eingang stehen und starrte auf die dunkle Straße, die Blicke der Kneipengäste im Rücken. Die Laternen endeten gleich hinter dem Lokal, und die andere Seite des Parkplatzes lag in tiefer Dunkelheit. Neben der Baulücke war eine schmale Gasse, die zwischen hohen Backsteinmauern bis zum Hintereingang des Busbahnhofs verlief.
»Ben!«
Keine Antwort. Sie ging auf den Parkplatz, wo Coopers Toyota stand, leer und abgeschlossen.
Sie sah die Straße hinunter, dahin, wo ihr eigener Wagen stand. Keine Spur von einer torkelnden Gestalt zwischen den Laternen, und es lag auch niemand vor den unbeleuchteten Fenstern des China-Imbisses und der Versicherungsagentur.
»Wo zum Henker …«
Plötzlich hörte sie etwas. Höhnisches Gelächter im Dunkeln. Stolpernde Schritte, ein tierisches Knurren, erstickte Schreie. Das Echo eines dumpfen Rumpelns und Polterns, das von einer Mauer abprallte. Es überlief sie eiskalt. Sie lief zum Eingang der Gasse und spähte ins Dunkel. Sie sah schemenhafte Gestalten, die sich aufeinander zu und voneinander weg bewegten und Arme und Beine fliegen ließen, wie bei einem primitiven Tanz. Sie konnte vier Gestalten ausmachen. Drei von ihnen waren kaum zu erkennen, sie hatten die Kragen hoch geschlagen und die Mützen tief in die Stirn gezogen. Sie schlugen und traten abwechselnd nach der vierten, mechanisch und brutal, gezielte Schläge und Tritte, die verletzen sollten. Die vierte Gestalt war Ben Cooper.
»Ben!«
Drei Gesichter wandten sich ihr zu. Cooper lehnte zusammengesunken an der Wand, ohne sie zu bemerken, hilflos auf den Schlag wartend, der ihn endgültig niederstrecken würde, direkt vor ihre Springerstiefel.
Fry lief los, doch schon nach wenigen Schritten blieb sie wieder stehen und überlegte fieberhaft. Sie hatte zwei Möglichkeiten. Eigentlich müsste sie sich als Polizeibeamtin zu erkennen geben, über Funk Verstärkung anfordern und versuchen, eine Festnahme vorzunehmen, bevor Ben Cooper zu schwer verletzt war. Aber wenn sie das tat, würde Coopers Ausraster öffentlich bekannt werden. Er hatte eine Chance verdient. Vielleicht nicht mehr als eine. Aber eine bestimmt.
Die zweite Alternative war gefährlicher. Aber wenn sie sich dafür entschied, durfte sie keine Zeit verlieren. Sie sprintete in die Gasse und spürte sofort, wie ihr die Kraft in die Glieder strömte. Sie atmete ein paar Mal tief durch, um ihre Muskeln mit Sauerstoff zu versorgen. Die drei Jugendlichen starrten sie überrascht an. Mit einem Angriff hatten sie nicht gerechnet.
»Wer ist das denn?«
»Eine Tussi.«
»Bestimmt auch ein Bulle.«
»Bullensau!«
Fry konnte sie riechen, sie konnte sehen, wie sie sich im Dunkeln auf sie zu bewegten. Die Erinnerungen stürzten auf sie ein. Es war derselbe Film, der immer wieder vor ihrem geistigen Auge ablief, der immer wieder von vorn anfing, sobald der Höhepunkt erreicht war. Ihr war heiß, sie fühlte sich schmutzig und hatte Schmerzen. Eine wilde Wut stieg in ihr auf, die ihren inneren Widerstand mit sich riss, und sie hatte nur noch den Wunsch, zuzuschlagen.
Die Jugendlichen, die vor Aufregung keuchten, grinsten sie an. Sie nahmen sie nicht ernst, obwohl sie inzwischen nah herangekommen war. Einer von ihnen drehte sich noch einmal um, um dem angeschlagenen Cooper
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