Kuehler Grund
Arme zu sehen waren. Eine deutliche Linie oberhalb der Handgelenke markierte die Grenze zwischen der blassen, von der Sonne unberührten Haut und den braunen, wettergegerbten Händen, die mit Altersflecken und dunklen, tief in den Poren sitzenden Pünktchen übersät waren. Harry stand an der Spüle, schrubbte mit einer blauen Bürste die Teetassen aus und wusch die Löffel ab. Dabei machte er ein so konzentriertes Gesicht, als wäre er mit einer Gehirnoperation beschäftigt.
»Er macht immer den Abwasch«, erklärte Gwen den Beamten, die in der Tür standen. »Angeblich kann ich es nicht richtig.«
»Wir möchten nur kurz mit ihm sprechen, Mrs. Dickinson«, sagte Tailby. »Es geht um unsere Ermittlungen.«
Allmählich schien Harry die Beamten wahrzunehmen. Er legte die Spülbürste weg, trocknete sich gründlich die Hände ab, rollte die Ärmel herunter, nahm seine Jacke vom Haken hinter der Tür und zog sie wieder an. Dann ging er gemächlich und ohne ein Wort zu sagen an ihnen vorbei in das dunkle Wohnzimmer, wo man durch einen Spalt in der weißen Gardine die Straße erkennen konnte.
Als Hitchens und Tailby hereinkamen, saß er bereits kerzengerade auf einem Stuhl. Er erwartete sie wie ein Richter, der die Angeklagten musterte, die auf der Anklagebank Platz nahmen. Die Beamten zogen sich zwei Stühle unter einem Mahagoni-Esstisch hervor und bauten sie vor dem alten Mann auf. Diane Fry schlüpfte leise durch die Tür und lehnte sich mit ihrem Notizbuch an die Wand, während Hitchens und Tailby ihre Namen nannten und sich auswiesen.
»Harry Dickinson?«, fragte Hitchens. Der alte Mann nickte. »Das ist Detective Chief Inspector Tailby, Harry. Ich bin Detective Inspector Hitchens. Aus Edendale.«
»Wo ist denn der Junge?«, fragte Harry.
»Wer?«
»Der vorher hier war. Sergeant Coopers Junge.«
Tailby sah Hitchens an und zog eine Augenbraue hoch.
»Ben Cooper ist nur ein Detective Constable, Harry. Aber wir ermitteln in einem Mordfall. Verstehen Sie? Detective Chief Inspector Tailby ist der verantwortliche Beamte, der die Ermittlungen leiten wird.«
»Aye«, sagte Harry. »Der Mann am Drücker.«
»Sie wissen, dass wir eine Leiche gefunden haben, Mr. Dickinson?«, fragte Tailby. Er sprach laut und deutlich, als ob er einen Schwachsinnigen vor sich hätte.
Harry ließ den Blick langsam von Hitchens zu Tailby wandern.
Anfangs hatte er sich nur unbeeindruckt gezeigt, jetzt wirkte er störrisch.
»Das Mount-Mädchen, hm?«
»Die Familie Vernon lebt im Mount«, erläuterte Hitchens Tailby. »Die Villa heißt so.«
»Die Tote ist noch nicht offiziell identifiziert worden, Mr. Dickinson«, sagte Tailby. »Bis es so weit ist, können wir dazu noch keine eindeutige Aussage treffen. Allerdings ist allgemein bekannt, dass wir seit mehreren Stunden eine breit angelegte Suche nach einem fünfzehnjährigen Mädchen dieses Namens durchgeführt haben. Unter den gegebenen Umständen besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den in der Nähe aufgefundenen sterblichen Überresten um die von Laura Vernon handelt.«
Die Sekunden verstrichen. Auf dem Kaminsims tickte eine alte Kutscheruhr leise vor sich hin, das einzige Geräusch im Raum. Fry hatte überhaupt den Eindruck, dass die Zeit in diesem Zimmer ganz besonders langsam verging, als ob es, vom Rest der Welt abgeschottet, in einer eigenen Zeitzone lag, wo die normalen Regeln nicht galten.
»Sie reden ja mächtig geschwollen daher«, sagte Harry.
Tailby ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Wir hätten gerne von Ihnen erfahren, wie es dazu kam, dass Sie den Turnschuh gefunden haben, Mr. Dickinson.«
»Das habe ich doch …«
»Ja, ich weiß, dass Sie es schon mal erzählt haben. Aber schildern Sie es bitte noch einmal.«
»Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte.«
»Ja, ich weiß«, sagte Tailby frostig. »Heute ist Ihr Domino-Abend.«
Harry nahm seine Pfeife aus der Jackentasche und kratzte die Asche in eine Keramikschale. Seine Bewegungen waren langsam und entspannt, seine Miene betont gelassen. Hitchens wurde unruhig, aber Tailby bedeutete ihm zu schweigen.
»Eines Tages kommen Sie auch noch dahinter«, sagte Harry. »In meinem Alter kann man nicht mehr zweimal an einem Nachmittag den Berg rauf und runter rennen und am Abend noch etwas unternehmen, ohne ein Nickerchen zwischendurch. Dafür reichen die Kräfte nicht mehr. Da beißt die Maus keinen Faden ab.« Er fuhr sich mit der Hand durch das akkurat geschnittene Haar und strich
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