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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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Brief. Ich habe ihn Laura letzten Monat aus Newquay geschickt. Aber er ist nicht da, da ist eine Lücke. Wo ist er? Sie hat die Briefe immer alle zusammen aufbewahrt.«
    »Die Polizei hat sie sich angesehen«, sagte Charlotte unsicher. »Möglich, dass die Beamten ihn mitgenommen haben.«
    »Wozu das denn?«
    »Das weiß ich nicht. Es kommt wohl darauf an, was darin steht.«
    »Dürfen die das?«
    »Ich nehme an, dein Vater hat es ihnen erlaubt. Frag ihn. Ich weiß nicht, wonach sie gesucht haben.«
    Daniel legte die Briefe aus der Hand. Er band sie wieder mit der Schleife zusammen, sorgfältig und ordentlich, obwohl seine Hände zitterten.
    »Das ist doch verdammt klar, wonach sie gesucht haben.«
    Als er zur Tür gehen wollte, hielt Charlotte ihn am Arm fest. Er hatte sich nicht gewaschen, vielleicht schon seit Tagen nicht mehr. Sein Nacken war schmutzig, und der Halsausschnitt seines T-Shirts hatte einen schwarzen Rand. Am liebsten hätte sie ihn ins Badezimmer gezogen und ihn aufgefordert, die dreckigen Sachen auszuziehen, damit sie sie waschen konnte. Noch vor ein, zwei Jahren hätte sie so mit ihm sprechen können.
    Aber Charlotte wusste, dass ihr Sohn ihrer Kontrolle längst entglitten war. Sie hatte keine Ahnung, was er in Exeter trieb. Er erzählte ihr nichts mehr über sein Studium, seine Freunde oder seine Unterkunft. Den zornigen, vorwurfsvollen jungen Mann, in den er sich verwandelt hatte, konnte sie nicht mehr verstehen.
    »Danny«, sagte sie. »Du darfst uns nicht verurteilen. Es hat keinen Sinn, alte Streitereien wieder aufzurühren, die nichts mit dieser Sache zu tun haben. Lass die Polizei herausfinden, was mit Laura passiert ist. Wir selbst müssen irgendwie versuchen, ohne sie zusammen weiterzuleben.« Er machte ein mürrisches, abweisendes Gesicht. Er spannte die Muskeln an, um sich von ihr freizumachen, um die letzte Verbindung, die noch zwischen ihnen bestand, abzuschütteln. »Dein Vater …«
    Das hätte sie besser nicht gesagt. Daniel stieß ihre Hand weg. »Wieso sollte ich euch nicht verurteilen? Du und mein Vater, ihr seid doch verantwortlich für das, was mit Laura geschehen ist. Für das, was aus ihr geworden ist.«
    Er blieb in der Tür stehen. Das Gesicht vor Wut und Verachtung verzerrt, blickte er noch einmal zu Charlotte zurück. »Und du, Mum, hast noch nicht einmal gesehen, was aus ihr geworden war.«
     
    Die drei alten Männer saßen zusammengezwängt auf der Sitzbank von Wilfords Pick-up-Truck. Sie hatten die Hauptverkehrsstraßen gemieden, auf denen die Touristen unterwegs waren, und fuhren stattdessen über die kurvenreiche Straße von Eyam Moor in das Hope Valley hinunter. Aber wenn sie die A625 erreichten, würde ihnen der abendliche Berufsverkehr aus Castleton entgegenkommen.
    Sie hockten zwischen Futtersäcken und herumliegendem Werkzeug. Der Boden des Führerhauses war mit zerknittertem Zeitungspapier bedeckt, einem alten Knochen, einem Plastikeimer und einem kleinen Sack mit einem toten Kaninchen. Sam, der zwischen den beiden anderen saß, bewegte die knochigen Knie, um unter dem Armaturenbrett Platz für seinen Spazierstock zu finden, und zuckte bei jeder Unebenheit der Straße zusammen. Wilford saß am Steuer, die Mütze tief in die Stirn gezogen, damit ihm die Haare durch den Fahrtwind nicht ins Gesicht geweht wurden. Er riss das Steuer hin und her und bremste den Wagen vor jeder Kurve scharf ab. Harry, der auf der Beifahrerseite saß, sah aus, als ob er in einer Limousine chauffiert wurde. Er hatte die Hände entspannt im Schoß liegen und drehte langsam den Kopf hin und her, um in Ruhe die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten.
    Auf der Ladefläche des Trucks stand die braunweiße Ziege auf einem Lager aus Jutesäcken. Sie war mit einer kurzen Kette an der Rückseite der Fahrerkabine festgebunden, sodass sie die Seitenwände nicht erreichen konnte. Ab und zu drehte sie den Kopf und meckerte einen verdutzten Radfahrer an.
    Hinter einem schweren Lastwagen vom Steinbruch, der sich durch die Serpentinen quälte, kamen sie mit dem Pick-up nur langsam voran. Ringsum lagen die vertrauten Kämme und Felsvorsprünge der Berge, und immer wieder boten sich unerwartete Ausblicke auf eine Landschaft, die die uralte Geschichte der Bleiförderung hätte erzählen können. Auf einem Feld zeugten überwucherte Senken und Erhebungen vom Verlauf einer erschöpften Ader. Hier und da stand eine verlassene Schachtanlage, von einer Mauer umgeben, um Unfälle zu verhindern. Vor vielen

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