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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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Hand.
    »Möchten Sie sich nicht setzen?«, fragte sie. »Nehmen Sie sich einen Sessel.«
    »Lassen Sie mich das Tablett tragen«, sagte Cooper, der sah, wie ihre Hände zitterten.
    »Hat ihn jemand gesehen?«, fragte Gwen, als sie einander an dem kleinen Couchtisch mit der Glasplatte gegenübersaßen. »Hat man Harry gesehen?«
    »Ja. Zumindest glauben wir, dass es Harry gewesen sein könnte. Auf dem Baulk.«
    »Aber er geht da jeden Tag spazieren«, sagte sie. Sie schien sich ein wenig gefangen zu haben. »Mit Jess. Jeden Tag.«
    »Geht er immer zur gleichen Zeit? Ist das nicht so üblich, wenn man einen Hund besitzt? Dass man feste Zeiten hat?«
    »Ja, immer um die gleiche Zeit. Morgens um neun, nach dem Frühstück, und dann noch einmal abends um sechs.«
    »Davon weicht er nie ab?«
    »Nie.«
    »Und am Samstagabend?«
    »Auch. Sechs Uhr. Wenn er zurückkommt, gibt es Essen. Er sagt, von der frischen Luft kriegt er Appetit.«
    Cooper nickte und sah zu, wie Gwen ihm eine Tasse Tee einschenkte. Ihre Beine waren dick geschwollen. In die Ärmel ihrer blauen Strickjacke hatte sie Papiertaschentücher gestopft, um gleich eines parat zu haben, falls sie wieder weinen musste.
    »Hat Ihr Mann erzählt, ob er an dem Abend jemand gesehen hat?«
    »Sie meinen das Mount-Mädchen?«
    »Nicht unbedingt. Irgendjemanden.«
    »Nein«, antwortete Gwen. »Davon hat er nichts gesagt.« Sie hielt kurz inne und bot Cooper ein Plätzchen an. »Sie kennen Harry nicht sehr gut, oder?«
    »Nein. Nur flüchtig.«
    »Er hätte nämlich sowieso nichts erzählt, auch wenn er jemanden gesehen hätte. So ist er nun mal.«
    »Er hätte Ihnen nichts davon gesagt, wenn er bei seiner Runde mit dem Hund jemanden getroffen hätte?«
    »Nein, er würde keinen Grund dafür sehen.«
    »Aber seitdem? Seit er weiß, dass Laura Vernon auf dem Baulk getötet wurde? Meinen Sie nicht, er hätte es Ihnen erzählt, wenn ihm jemand aufgefallen wäre?«
    »Mir nicht«, sagte Gwen einfach.
    »Ich verstehe. Ist Ihr Mann später noch einmal weggegangen, Mrs. Dickinson? Nach dem Essen?«
    »Normalerweise geht er in den Drover«, sagte sie.
    »An dem Abend auch?«
    »Ja, ich erinnere mich genau.«
    »Um welche Uhrzeit wäre das ungefähr gewesen?«
    »Das weiß ich nicht mehr.«
    »Nach sieben?«
    »Ja, bestimmt. Vorher wäre er noch gar nicht mit dem Essen fertig gewesen.«
    »Also nach acht?«
    »Ich kann es wirklich nicht sagen. Möglich ist es.«
    Cooper merkte, wie aggressiv seine Fragen klangen. Gwen hatte angefangen zu zittern. Er zögerte. Sie tat ihm Leid, und er wollte sie nicht noch mehr verstören. Sie war ein unschuldiger Mensch, der in eine Sache hineingeraten war, die ihn überforderte. Er dachte an seine Mutter, die mit dem Leben nicht mehr fertig wurde. Er wollte keinesfalls dazu beitragen, einen anderen Menschen aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen.
    »Nur noch ein paar Fragen, Mrs. Dickinson, dann lasse ich Sie wieder in Ruhe. Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie nicht einfach ist.«
    »Es geht schon«, sagte sie. »Bei den anderen Männern hatte ich Angst, aber bei Ihnen macht es mir nichts aus.«
    Er lächelte, gerührt über das Vertrauen der alten Frau, auch wenn er nicht wusste, ob er es verdient hatte.
    »Hat Mr. Dickinson den Hund später auch mitgenommen? Als er in den Pub ging?«
    »Jess? Aber natürlich, Jess ist immer dabei.« Gwen holte tief Luft. »Soll er das Mount-Mädchen auf dem Baulk getroffen haben?«
    Cooper war überrascht. Er fragte sich, wie Gwen Dickinson auf diese Frage gekommen war. Er ging nicht darauf ein.
    »Sie nennen sie immer das Mount-Mädchen, Mrs. Dickinson. Sie heißt Laura Vernon.«
    »Ja, ich weiß. Aber sie wohnt doch im Mount, nicht wahr?«
    Sie deutete mit dem Kopf zum Fenster. Doch es war nur der Garten zu sehen, der Saum des Waldes und dahinter die sonnigen Hügel.
    »Dann kennen Sie Mr. und Mrs. Vernon?«
    »Sie sind Zugezogene.«
    »Heißt das ja oder nein?«
    Gwen breitete die Hände aus. Cooper kannte die Geste. Sie bedeutete, dass man Zugezogene nie richtig kannte, jedenfalls nicht so, wie es sich gehörte. Man grüßte sie vielleicht auf der Straße und im Geschäft, ließ sich von ihnen im Wirtshaus ein Glas Bier spendieren oder teilte sogar die Kirchenbank in St. Edwin mit ihnen, aber man würde mit ihnen nie so vertraut werden wie mit den Menschen, die schon immer im Dorf gelebt hatten, deren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern man kannte und deren Großeltern wiederum die

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