Kuehles Grab
ich nicht weiterleben!
Ich lief zur Tür. Einer der Detectives – Sinkus, glaube ich – versuchte, mich festzuhalten. Ich schüttelte ihn ab. Er war sanfter und langsamer als Bobby. Ich rannte die Treppe hinunter. Meine Nachbarn zogen sich in ihre Apartments zurück, schlugen die Türen zu und sperrten sie ab.
Auf der letzten Treppe hielt ich mich am Holzgeländer fest und schwang mich mit einem Satz darüber. Ich kam hart auf dem Boden auf und lief durch die Tür. Abrupt blieb ich stehen.
Ben, mein alter UPS-Fahrer, stand wie angewurzelt da. Die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen. Bobby und D. D. hatten ihn schon in der Mangel.
»Tanya?«, stöhnte Ben.
Ich fing an zu lachen. Es war das hysterische Lachen einer Frau, die in ihrer Verzweiflung schon dem Boten, der ihr die letzte Stoffbestellung auslieferte, einen Heidenschrecken einjagte.
»Es ist okay«, sagte ich so ruhig wie möglich, aber meine Stimme bebte.
»Würden Sie mir bitte das Paket aushändigen?«, forderte Bobby.
Ben gab es ihm. »Sie muss den Lieferschein abzeichnen«, hauchte er. »Kann ich … darf ich … Guter Gott!«
Ben verstummte. Wenn Bobby ihn weiter so anstarrte, würde er sich in die Hosen pinkeln.
»Smith and Noble.« Bobby las die Absender-Adresse vor.
»Vorhänge«, sagte ich. »Um genau zu sein, maßangefertigte Stoffjalousien. Es ist okay, ehrlich. Ich bekomme jeden Tag ein Paket, stimmt's, Ben?«
Ich trat vor und stellte mich zwischen Bobby und meinen Lieferboten.
»Es ist okay«, wiederholte ich. »Es ist etwas vorgekommen. Die Polizei untersucht das.«
»Was ist mit Bella?«, fragte Ben. In den vier Jahren, die ich ihn kannte, hatte ich herausgefunden, dass Ben nicht viel für Menschen übrig hatte. Statt an seinen Kunden war er eher an den Hunden seiner Kunden interessiert.
»Es geht ihr gut.«
Wie auf Stichwort fing Bella in Bobbys Auto an zu bellen. Ben war keineswegs beruhigt, er ging dem Kläffen bis zu dem Polizeiwagen nach und riss die Augen noch weiter auf.
»Sie ist ein guter Hund!«, protestierte er.
Wieder lachte ich laut los, allerdings klang mein Lachen nicht gerade fröhlich.
»Wir mussten sie aus der Wohnung schaffen«, erklärte ich. »Mit Bella ist alles in Ordnung. Sie können ruhig zu ihr gehen. Sie würde sich freuen, Sie zu sehen.«
Ben war unschlüssig. Bobby hatte noch das Paket in den Händen und verfolgte die Szene mit düsterer Miene. D. D. verzog keine Miene.
Es wurde Zeit, dass jemand eine Entscheidung traf. Ich packte Ben am Ärmel seiner braunen Uniform und führte ihn zu Bobbys Wagen. Bella hatte mittlerweile ihren Kopf halb durch den Fensterspalt gezwängt und bellte freudig.
Ben kramte in seinen Taschen nach Hundeleckereien.
Bella erbettelte vier Hundekuchen. Als wir zum Hauseingang zurückkehrten, hatte sich alles entspannt.
Bobby stellte Ben einige Fragen. Nach seiner üblichen Route, wie oft er in diese Gegend kam, um welche Tageszeit. War ihm jemals jemand aufgefallen, der vor dem Haus herumlungerte?
Ben war seit zwanzig Jahren UPS-Fahrer. Er kannte die Straßen von Boston wie seine Westentasche. Er nahm gern die Abkürzung durch meine Straße, um den Stau auf der Atlantic zu umfahren. Ihm war niemand aufgefallen, aber er hatte auch nicht darauf geachtet.
Ein UPS-Mann hatte kein leichtes Leben, erfuhr ich. Jede Menge Pakete, komplizierte Lieferpläne, verschlungene Routen, und dann wurde alles in letzter Minute wieder umgestoßen, weil Eilpakete auszuliefern waren. Das bedeutete jede Menge Stress. Und erst zu Weihnachten!
Der Gedanke, dass sich jemand vor meinem Haus herumtreiben und Bella und mir auflauern könnte, beunruhigte Ben. Er würde die Augen offenhalten, versprach er Bobby. Vielleicht könnte er es sogar so einrichten, dass er täglich öfter durch die Straße kam. Ja, das würde er versuchen.
Ben war nicht mehr der Jüngste. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig – mit dicker Brille und einem ergrauten Schnauzbart. Sein Job hielt ihn fit, und er hatte tatsächlich eine drahtige Figur, war nur um die Taille vielleicht ein klein wenig füllig. Bobby würde in zwanzig Jahren so ähnlich aussehen.
Ben straffte die Schultern und warf sich in die Brust. Dann schüttelte er Bobby ernst die Hand und stieg in seinen Wagen, um loszufahren. Bobby trug mein Paket ins Haus. Ich folgte ihm niedergeschlagen.
31
Eine Viertelstunde später ertappte ich D. D. und Bobby bei einem Streit. Eigentlich sollte ich auf meiner Couch sitzen und mich wie ein braves Mädchen
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