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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Nachmittag dort. Natürlich wollte Mrs. Badington erst nichts sagen, aber als ich mit ihrer Katze fertig war, redete sie wie ein Wasserfall. Sie erzählte mir, dass dein Vater eine neue Anstellung am Institute bekommen hat. In einem Haus in Arlington wohnt. Und das Beste war: Sie hat nie ein Sterbenswörtchen über meinen Besuch verloren. Die Dinge, die ich mit ihr getan habe, erzählt niemand gern in der feinen Gesellschaft. Außerdem habe ich ihr versprochen, wiederzukommen und mit ihrem Mann genau dasselbe zu machen, wenn sie den Mund nicht hält.«
    »O mein Gott …«
    »Ich machte mich auf den Weg nach Massachusetts. Ich wollte dich noch in derselben Nacht wiedersehen, aber es war schon spät, und ich verfuhr mich, und dann passierte das Verrückteste, was überhaupt passieren konnte. Ich wurde auf der Straße angehalten. Vier kräftige Brüder prügelten mit aller Macht auf mich ein. Dann nahmen sie meine Klamotten und … Ab da weiß ich nichts mehr. Ich war lange bewusstlos. Nach und nach erholte ich mich. Ich musste alles neu lernen – essen, anziehen, Zähne putzen. Ich unterhielt mich mit sehr netten Ärzten. Sie machten mir klar, dass ich einen schlechten Start gehabt hatte und jetzt eine zweite Chance bekäme. Ich könnte sein, wer ich will, sagten sie. Ich könnte mich neu erfinden.
    Und eine ganze Weile hab ich das versucht. Die Idee war wirklich gut, fand ich. Ich wollte Benji sein, dessen Vater bei der CIA angestellt und nicht ein betrunkenes Arschloch war, das die eigene Frau ermordet und sich anschließend selbst das Gehirn weggeblasen hatte. Es gefiel mir, Benji zu sein. Aber ich fühlte mich einsam, Amy. Du musst doch verstehen, wie das ist. Keine Familie zu haben. Niemanden, der einen mit dem echten Namen anspricht, der dich richtig kennt. Das ist kein Leben.«
    »Hör auf«, flüsterte ich und zog meine Hand weg. »Hör auf.«
    Doch mein Onkel schwieg nicht. Er redete weiter. Die Stimme meines Vaters und meine eigenen Gedanken wanden sich wie Schlangen durch mein Gehirn.
    »Eines Tages fand ich diese Grube, als ich auf dem Gelände der Klinik spazieren ging. Sie gefiel mir so sehr, dass ich mir dort einen Unterschlupf einrichtete. Mittlerweile ging es mir wieder ganz gut, aber ich wohnte noch in der Klinik und besuchte eine nahe gelegene Schule. Aus der Grube wurde eine unterirdische Kammer, aus der Kammer mein Lernzimmer, und dann … sah ich sie. Auf dem Heimweg von der Schule. Ich sah sie, und ihr Gesicht verriet mir, dass sie mich auch bemerkt hatte. Sie mochte mich, sie wollte bei mir sein. Sie war diejenige, die mich nie verlassen würde.«
    »Ganz ruhig«, versuchte ich ihn noch einmal zum Schweigen zu bringen.
    »In der letzten Minute änderte sie ihre Meinung. Sie wehrte sich. Sie schrie. Deshalb musste ich … Es war schnell vorbei, und ich war danach sehr traurig. So sollte es nicht sein. Das musst du mir glauben, Amy. Aber dann kam mir ein Gedanke. Ich konnte sie behalten. Ich kannte genau den richtigen Ort. Und dann würde sie nie wieder weggehen.«
    »Du bist krank! « Ich zerrte ein letztes Mal an meiner Hand und bekam sie endlich frei. Das schien ihn nicht weiter zu beunruhigen.
    »Ich hab's noch mal versucht«, erzählte er sachlich weiter. »Und noch mal und noch mal und noch mal. Jedes Mal begann die Beziehung verheißungsvoll, aber dann ging es rapide abwärts. Und irgendwann begriff ich. Ich wollte keines dieser nutzlosen, dummen Mädchen. Ich wollte dich. Und mir fiel wieder ein, was Mrs. Badington gesagt hatte. Ich fand dich wieder. Meine Amy, meine heißgeliebte Amy. In dieser Zeit kamen wir uns so nahe. Ich ging die Sache langsam an, machte dir kleine Geschenke, um dein Vertrauen zu gewinnen. Dieses Lächeln auf deinem Gesicht, wenn du ein Geschenk ausgewickelt und den neuen Schatz gesehen hast! Es war genau so, wie ich es mir vorgestellt, wie ich es mir gewünscht hatte. Du würdest bald mir gehören.«
    Er verstummte mit einem Seufzen, aber er war noch nicht fertig. Wie auch? Wir beide wussten, dass das Schlimmste noch kam.
    »Roger hat mich gesehen. Ich hielt mich für so clever, aber – oh, große Brüder! Sie scheinen immer zu wissen, was ihre kleinen Brüder vorhaben. Und er wusste es auch. Selbstverständlich wusste er es. Mir wurde klar, dass ich schnell handeln musste. Dann fanden die Cops plötzlich mein Versteck auf dem Dachboden, und statt dich mitzunehmen, floh ich vor der Polizei. Als ich mich wieder gefasst hatte, war es vorbei. Das Haus war leer.

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