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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Roger war immer schon ein gerissener Hurensohn gewesen.«
    Ben rieb sich gedankenverloren die Narbe auf dem Kopf. Eine Angewohnheit, mit der er sich besänftigte? Oder eine Erinnerung an etwas, was ihn immer noch schmerzte?
    »Du hast Dori gekidnappt«, flüsterte ich.
    »Das musste ich«, antwortete er achselzuckend. »Ich brauchte jemanden. Und sie hatte dein Medaillon gestohlen. Das konnte ich ihr nicht durchgehen lassen.«
    »Sie hatte das Medaillon nicht gestohlen, du Bastard. Ich hatte es ihr gegeben. Sie war meine Freundin, und ich habe mit ihr geteilt – das machen Freunde so. Du bist ein grässliches Scheusal, und ich werde nie bei dir bleiben.«
    »O Amy.« Wieder seufzte er. »Du musst nicht eifersüchtig sein. Dori war nur Mittel zum Zweck. Ich habe sie mir genommen, und Roger kam zurück zu mir.«
    Ich blinzelte schockiert. »Du hast meinen Vater wiedergesehen? In Arlington?«
    »Roger kam nach Hause. Ich wusste, dass ihm gar nichts anderes übrigblieb. Früher, vor langer Zeit, hat Roger mich geliebt. Er versteckte sich mit mir im Schrank und hielt meine Hand, wenn unsere Eltern stritten und brüllten. ›Es ist gut‹, versicherte er. ›Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht. Ich passe auf dich auf.‹ Und eines Abends kam Vater in die Küche, in der unsere Mutter stand, und schoss ihr dreimal in die Brust. Peng, peng, peng. Als Nächstes fiel sein Blick auf mich. Er zielte, und mir war klar, dass er schießen würde. Roger hat ihn davon abgehalten. Roger befahl ihm, die Waffe zu senken, und sagte, wenn er wirklich jemanden töten wolle, dann könnte er genauso gut sich selbst erschießen. Und das hat unser Vater auch getan. Der Idiot hob den Lauf an die Schläfe und drückte ab. Bye-bye, Daddy. Hallo, Internat. Im Internat war Roger nicht für mich da. Er hatte seine eigene Klasse, eigene Freunde, ein eigenes Leben. Er hat mich alleingelassen. Einfach so. Ich wartete in dem Haus in Arlington, weil ich wusste, dass Roger zurückkommen würde. Dass wir allein sein würden – nur er und ich. Und eine Waffe.«
    »Du hast versucht, meinen Vater zu töten?«
    Ben sah mich an und schüttelte bekümmert den Kopf. »O nein, Amy. Dein Vater, mein lieber Bruder, hat versucht, mich zu töten.«
    Bobby und D. D. rannten die Hanover hinauf, rempelten die anderen Fußgänger an, ignorierten die hupenden Taxis. Die Dämmerung brach herein, das Treiben auf den Straßen wurde lebhafter, als die Restaurants und Kneipen ihre Türen öffneten. Bobby und D. D. schlängelten sich an Teenagern, die in ihre Handys plapperten, an Müttern mit Kinderwagen und Anwohnern mit ihren Hunden vorbei.
    D. D. hielt ohne Schwierigkeiten ihr Tempo, doch Bobby war schon ziemlich fertig.
    Immer noch kein Wort von Annabelle.
    Er nutzte die wachsende Panik, um seine Schritte nochmals zu beschleunigen.
    Mein Vater mit einer Schusswaffe? Selbst Mr. Petracelli hatte erzählt, dass mein Vater ein Waffengegner gewesen war. Und nachdem ich erfahren hatte, wie seine Eltern ihr Leben verloren hatte, konnte ich das verstehen.
    Anscheinend war Doris Entführung sogar für meinen Vater der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Er hatte sich eine Waffe besorgt. Und dann war er mit der Nachtmaschine nach Boston geflogen, um seinen Bruder zur Strecke zu bringen.
    »Roger, bitte geh nicht. Roger, ich flehe dich an, bitte tu das nicht …«
    Wenn ich meinem Onkel Glauben schenken konnte, dann hatten sich die beiden Brüder im dunklen Haus, meinem ehemaligen Heim, gegenübergestanden. Tommy mit dem Brecheisen, mit dem er sich Zugang verschafft hatte, mein Vater mit einer kleinen Handfeuerwaffe.
    »Ich nahm ihn nicht ernst«, erzählte Ben. »Roger konnte mir nicht wehtun. Er liebte mich. Er hatte mir versprochen, immer auf mich aufzupassen. Aber dann … Er sah so müde aus, als er vor mir stand. Er fragte mich, ob ich das Mädchen verschleppt hätte. Ob ich noch andere Mädchen entführt hätte. Was sollte ich tun? Ich sagte ihm die Wahrheit. Dass ich sechs Mädchen zu mir genommen, sie in Plastiksäcke gesteckt und als meine eigene kleine Familie bei mir behalten hatte. Und dass mir das nicht genügte. Ich wollte dich, Amy. Ich brauchte dich.
    ›Früher habe ich geglaubt‹, sagte Roger ganz ruhig, ›dass die Gene in solchen Fällen keine Rolle spielen. Dass das Umfeld und die Erziehung wichtiger sind, dass wir alle mit genügend Zeit, Aufmerksamkeit und der richtigen Geisteshaltung sein können, was wir sein wollen. Ich

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