Kuehles Grab
Mittelpunkt gerückt war.
Und dann war da noch das Familienleben. Anrufe in letzter Minute, dass Daddy das Fußballspiel des Sohnes versäumen würde. Jungs, die sich gegen acht Uhr abends in einen Verhörraum zurückzogen, um ein bisschen Privatsphäre für ein telefonisches Gute-Nacht-Gespräch zu finden. Detective Roger Sinkus hatte ein zwei Wochen altes Baby. Die Mutter von Detective Tony Rock lag nach einem Herzanfall auf der Intensivstation.
Alleinstehende Typen wie Bobby blieben bis drei Uhr nachts, damit ein frischgebackener Vater wie Roger schon um eins gehen konnte. Alle versuchten, die Ermittlungen voranzutreiben, niemand bekam auf Anhieb, was er brauchte.
An der Spitze von alldem stand D. D. Warren. Ihr erster großer Fall, seit sie zum Sergeant befördert worden war. Normalerweise betrachtete Bobby solche Karrieresprünge mit Zynismus, doch auch er musste gestehen, dass D. D. ihn beeindruckte.
Zuallererst war es ihr gelungen, eines der sensationellsten Verbrechen in der Geschichte Bostons für beinahe achtundvierzig Stunden unter Verschluss zu halten. Bei der Bostoner Polizei gab es keine undichten Stellen, sogar die Gerichtsmediziner und die Staatsanwaltschaft hielten dicht. Es war ein Wunder.
Zweitens legte sie eine vernünftige Strategie fest, obschon ihr ein Dutzend große Fernsehsender im Nacken saß. Die Presseleute faselten vom Recht auf Informationen und beschuldigten die Bostoner Polizei, der Bevölkerung zu verheimlichen, dass ihre Sicherheit ernsthaft bedroht sei.
Der erste Schritt bei Mordermittlungen war immer, einen Zeitrahmen festzulegen. Unglücklicherweise war die Sondereinheit auf die Ergebnisse der Obduktion angewiesen, die die Feststellung des ungefähren Todeszeitpunktes mit einschloss. Die dafür notwendigen Analysen kamen nicht über Nacht zustande. Zudem war der Posten des forensischen Anthropologen in Boston keine Vollzeitstelle, und das hieß, dass die Halbtagskraft Christie Callahan ganz allein mit der Untersuchung von sechs Leichen beschäftigt war. Der mumifizierte Zustand der Leichen verlangte eine Reihe mühevoller, methodischer und teurer Tests.
D. D. hatte einen Botaniker von der Audubon Society zu Rate gezogen. Er hatte das Gestrüpp, die Gräser und Schößlinge, von denen die unterirdische Kammer überwuchert war, genauestens untersucht. Seiner Schätzung nach waren die Pflanzen etwa dreißig Jahre alt.
Eine Gruppe von drei Detectives stellte eine Liste der Mädchen zusammen, die seit 1965 in Massachusetts vermisst wurden. Da die Akten erst ab 1997 im Computer gespeichert wurden, mussten alle Vermisstenmeldungen zwischen 1965 bis 1997 in den Archiven aufgespürt und durchgesehen werden. Die Aktennummern der ungelösten Fälle, die minderjährige Mädchen betrafen, wurden notiert und anschließend die Fälle auf den Mikrofiches herausgesucht. Drei Männern gelang es, in vierundzwanzig Stunden die Vermisstenakten von sechs Jahren durchzusehen.
Natürlich glühten auch die Telefone der Hotline. Der Öffentlichkeit war lediglich bekannt, dass sechs weibliche Leichen auf dem Grundstück des früheren Boston Mental Hospital gefunden worden waren und das Verbrechen vermutlich längere Zeit zurücklag. Das genügte jedoch, um jede Menge Spinner auf den Plan zu rufen. Einige berichteten von seltsamen Lichterscheinungen im Wald, andere von einem Satanskult in Mattapan. Zwei behaupteten, von UFOs entführt worden zu sein und die Mädchen an Bord des Raumschiffes gesehen zu haben. Verzweifelte Eltern aus dem ganzen Land fragten nach, ob eine der Leichen die ihres vermissten Kindes sein könnte.
Über jedes Telefonat, das auf der Hotline einging, wurde ein Protokoll verfasst, damit ein Detective den Hinweisen nachgehen konnte. Fünf Männer wurden abgestellt, um die Flut der Anrufe zu bearbeiten.
Daneben gab es für D. D. und ihre Truppe noch viele andere Aufgaben: das Auflisten all jener, die zur Vernehmung einbestellt werden sollten – Immobilienmakler, Architekten, Stadtplaner und Bauherren mit Projekten auf dem Gelände –, und das Aufspüren der Patienten- und Angestelltenakten einer psychiatrischen Klinik, die vor dreißig Jahren geschlossen worden war. Das Eingeben der Details vom Tatort ins VICAP-Programm, damit der Computer sie mit anderen Verbrechen abgleichen konnte. Bobby bekam den Auftrag, dem einzigen VICAP-Verweis – dem auf Richard Umbrio – nachzugehen. Er hatte sich die Akte des Originalfalles auf Mikrofiche herausgesucht – komplett mit all den
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