Kuehles Grab
Fotos des Tatortes. Zudem hatte er mit dem damaligen Ermittlungsleiter Franklin Miers telefoniert, der vor acht Jahren in Ruhestand gegangen war und seither in Fort Lauderdale wohnte.
Jetzt saß Bobby in dem winzigen Verhörraum, der ihm als Büro diente, und studierte die Zeichnung von dem Erdloch, in dem die zwölf Jahre alte Catherine Gagnon gefangen gehalten worden war.
Nach den Notizen von Franklin Miers war Catherine auf dem Heimweg von der Schule gekidnappt worden. Umbrio wurde auf sie aufmerksam, als er durch das Viertel fuhr, und fragte sie, ob sie ihm helfen könne, seinen weggelaufenen Hund zu suchen. Sie ließ sich darauf ein, und das war's für sie.
Umbrio war schon im Alter von neunzehn Jahren ein Bär von einem Mann und hatte keinerlei Schwierigkeiten, die schmächtige Sechstklässlerin zu überwältigen. Er verschleppte das Mädchen in eine unterirdische Kammer, die er im Wald vorbereitet hatte, und dort begann die eigentliche Folter. Knapp dreißig Tage war Catherine in dem finsteren Erdloch gewesen.
Hätten die Jäger die Grube nicht zufällig entdeckt, hätte Umbrio Catherine am Ende umgebracht. Doch sie überlebte, identifizierte ihren Peiniger und sagte gegen ihn aus. Umbrio kam hinter Schloss und Riegel, und Catherine blieb es überlassen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Tage in der Gefangenschaft hatten jedoch unauslöschliche Spuren hinterlassen, und selbst als Erwachsene war sie noch gezeichnet.
Miers beschrieb in seinen Aufzeichnungen einen schockierenden Fall, aber letzten Endes war alles doch nur Routine. Catherine war eine glaubwürdige Zeugin, und in der unterirdischen Kammer wurden verwertbare Beweise, die ihre Aussage untermauerten, gefunden – eine Strickleiter aus Metallgliedern, ein Zwanzig-Liter-Plastikeimer, die Sperrholzabdeckung für die Luke.
Umbrio wurde als Täter überführt und wanderte ins Gefängnis. Vor zwei Jahren, als Umbrio irrtümlich auf Bewährung freigelassen worden, verfolgte er Catherine, um sie zu töten, wie er es bei seiner Verurteilung angekündigt hatte.
Kurz gesagt, Umbrio war ein mordlustiger, abartiger Irrer, und man konnte ihm durchaus zutrauen, dass er die sechs Mädchen umgebracht und ihre Leichen auf dem Grundstück der verlassenen psychiatrischen Klinik beerdigt hatte.
Allerdings hatte Umbrio seit Ende 1980 hinter Gittern gesessen. Und Annabelle Granger behauptete, das Medaillon, das bei der mumifizierten Leiche Nr.l gefunden worden war, erst 1982 geschenkt bekommen zu haben.
Nach achtundvierzig Stunden gründlicher Nachforschungen hatte Bobby noch keine Antworten, dafür eine beeindruckende Liste neuer und alter Fragen.
D. D., die Annabelle aus dem Gebäude begleitet hatte, kam zurück. Sie rückte sich einen Stuhl zurecht und ließ sich fallen wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten worden waren.
»Gottverdammte Hölle«, fluchte sie.
»Komisch, ich dachte gerade dasselbe.«
Sie fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar. »Ich hole mir eine Tasse Kaffee. Nein, ich brauche etwas zu essen. Ein Sandwich. Rohes Roastbeef. Mit Schweizer Käse und einer dieser richtig großen Dillgurken. Und eine Tüte Pommes frites.«
»Anscheinend hast du gründlich darüber nachgedacht.« Bobby legte die Zeichnung weg. D. D. mochte aussehen wie ein Supermodel, aber sie aß wie ein Scheunendrescher. Als sie und Bobby ein Paar gewesen waren – damals in ihren Anfangstagen bei der Polizei –, hatte Bobby schnell gelernt, dass ihre Vorstellung von einem gelungenen Vorspiel generell ein All-you-can-eat-Büfett mit einschloss.
Er verspürte einen Stich – Sehnsucht nach den guten alten Zeiten, die ihm nur wegen seines selektiven Gedächtnisses und der langen Einsamkeit so schön erschienen.
»Das Mittagessen ist das einzige, worauf ich mich heute freuen kann«, erwiderte D. D.
»Zu schade. Deine Chancen, hier in der Nähe ein anständiges Roastbeef-Sandwich zu bekommen, stehen eins zu zehn.«
»Ich weiß.«
Ihre Schultern sackten herunter. Auch Bobby war niedergeschlagen. Heute Morgen noch war es ihm gelungen, sich einzureden, dass Übereinstimmungen zwischen der Fundstelle bei der psychiatrischen Klinik und Richard Umbrios Verbrechen rein zufällig waren. Dann war Annabelle Granger gekommen.
»Willst du, dass ich es ausspreche?«, fragte D. D. schließlich.
»Ja.«
»Das alles ergibt keinen Sinn.«
»Stimmt.«
»Ich meine – es gibt Übereinstimmungen, okay. Aber es gibt auch viele Menschen, die sich ähnlich
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