Kuehles Grab
sehen. Heißt es nicht, dass jeder irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger hat?«
Bobby schaute sie wortlos an.
Sie stieß den Atem aus, dann beugte sie sich vor – ihre liebste Denkerpose. »Lass uns noch mal alles von Anfang an durchgehen.«
»Okay.«
»Richard Umbrio hat eine unterirdische Kammer benutzt; unser Täter auch«, begann D. D.
»Umbrios Erdloch war wahrscheinlich eine von Hand vergrößerte Senkgrube«, warf Bobby ein und deutete auf die Zeichnung. »Unser Täter hatte eine sechs Quadratmeter große, mit Holzbrettern und Stützpfeilern verstärkte Kammer.«
»Also – ähnlich und doch unterschiedlich.«
»Ähnlich und doch unterschiedlich«, pflichtete Bobby ihr bei.
»Abgesehen von der Einrichtung – die Leiter, der Eimer, die Lukenabdeckung.«
»Völlige Übereinstimmung«, bestätigte Bobby.
D. D. atmete durch und schob sich die Haare aus dem Gesicht. »Vielleicht sind das die üblichen Sachen, die man in solchen Erdlöchern braucht?«
»Möglich.«
»Aber wir haben auch noch den Klappstuhl und die Metallregale …«
»Unterschiedlich.«
»Anspruchsvoller«, ergänzte D. D. »Größere Kammer, mehr Mobiliar.«
»Das führt uns zum nächsten entscheidenden Unterschied …«
»Richard Umbrio hat, soweit bekannt ist, nur ein Opfer entführt – die zwölf Jahre alte Catherine Gagnon. Unser Täter muss sechs Opfer gekidnappt haben, sechs junge Mädchen.«
»Wir brauchen mehr Informationen für eine schlüssige Analyse«, warf Bobby ein. »Zum einen wissen wir nicht, ob die sechs Opfer zur selben Zeit entführt wurden – was unwahrscheinlich erscheint – oder in einem größeren Zeitraum. Haben die Mädchen Gemeinsamkeiten? Familienangehörige, religiöse Verbindungen, Väter, die für die Mafia tätig waren? Waren mehrere gleichzeitig in der unterirdischen Kammer? Wurden sie noch lebend dort unten festgehalten? Bisher nehmen wir das nur an, weil wir an Catherine Gagnons Fall denken. Aber vielleicht diente diese Grube nur als Grabstätte. Als Ort, an den der Täter gehen und bei ihnen sein konnte. Eine Art Ausstellungsraum. Wir wissen noch nicht, wie dieser Typ tickt.«
D. D. nickte nachdenklich. »Allerdings ist da noch Annabelle Granger.«
»Ja, das stimmt.«
»Mein Gott, sie sieht genau aus wie Catherine. Ich bin doch nicht verrückt, oder? Annabelle könnte Catherine Gagnons Zwillingsschwester sein.«
»Ja, sie könnte Catherines Zwillingsschwester sein.«
»Kann das Zufall sein? Zwei Frauen, die sich so ähnlich sehen, in derselben Stadt aufgewachsen sind, und beide wurden Opfer oder beinahe Opfer eines Irren, der junge Mädchen entführt und in einer unterirdischen Grube gefangen hält.«
»Und an diesem Punkt geraten wir in eine Grauzone«, meinte Bobby.
D. D. lehnte sich zurück. Ihr Magen knurrte. »Was hältst du von ihrer Geschichte?«
Bobby seufzte, lehnte sich ebenfalls zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Keine Ahnung.«
»Klingt verdammt weit hergeholt.«
»Dafür war sie ziemlich detailliert.«
D. D. schnaubte. »Sie hat sich auch hin und wieder verhaspelt.«
»Um so realistischer erscheint das Ganze«, gab Bobby zurück. »Man kann keine vollständige Liste von Daten und Namen erwarten – schließlich war sie noch ein Kind.«
»Glaubst du, ihr Vater wusste etwas?«
»Du meinst, ob er geahnt hat, dass seine Tochter gefährdet war, und deshalb geflohen ist?« Bobby zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, aber genau da wird's kompliziert: Falls im Herbst 1982 etwas in Arlington vorgefallen ist, dann konnte Richard Umbrio definitiv nichts damit zu tun haben. Er kam Ende 1980 in Untersuchungshaft, der Prozess fand 81 statt, und im Januar 82 wurde er nach Walpole überstellt. Das bedeutet, dass sich Annabelles Vater von jemand anderem bedroht gefühlt haben muss.«
»Besteht die Möglichkeit, dass Catherine mit Umbrio den falschen identifiziert hat? Könnte ein anderer sie entführt und missbraucht haben? Ich meine, Sie war damals erst zwölf.«
»Die nachfolgenden Ereignisse schließen das praktisch aus, von den eindeutigen Spuren und Beweisen ganz zu schweigen.«
»Verdammt.«
Bobby schüttelte den Kopf. »Ein Jammer, dass wir den Vater nicht mehr vernehmen können«, sagte er. »Annabelle kann oder will uns nicht mehr erzählen.«
»Ziemlich praktisch, dass beide Eltern tot sind«, erklärte D. D. und warf ihm einen finsteren Blick zu. »Natürlich wär's gut, wenn wir Umbrio befragen könnten, aber der ist ja auch
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