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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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tot.«
    »Annabelle findet es bestimmt nicht so praktisch, dass ihre Eltern verstorben sind. Ich hatte den Eindruck, dass sie ihrem Vater gern selbst einige Fragen stellen würde.«
    »Hast du die Liste der Wohnorte und falschen Namen?«, erkundigte sich D. D. unvermittelt. »Prüf das nach! Mal sehen, was du finden kannst. Das ist eine gute Übung für einen Detective.«
    »Vielen Dank, Frau Lehrerin.«
    D. D. erhob sich – die kleine Konferenz war zu Ende. An der Tür blieb sie noch mal stehen.
    »Hast du schon von ihr gehört?«
    Es war nicht nötig zu präzisieren, wen sie meinte. Catherine Gagnon.
    »Nein.«
    »Glaubst du, sie ruft an?«
    »Solange wir von dem Tatort als Grab sprechen und die Grube nicht erwähnen, vermutlich nicht. Aber in der Minute, in der die Medien herausfinden, dass die Mädchen dort wahrscheinlich gefangen gehalten wurden …«
    D. D. nickte. »Sag mir Bescheid.«
    »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.«
    »Robert Dodge …«
    »Wenn du ein offizielles Telefonat mit Catherine Gagnon führen willst, dann nimm den Hörer in die Hand. Ich bin nicht dein Lakai.«
    Sein Tonfall blieb gleichmütig, sein Blick jedoch war eindeutig unfreundlich. D.D. erstarrte, und ihre Miene wurde eisig.
    »Ich hatte nie ein Problem damit, dass du geschossen hast, Bobby«, erwiderte sie. »Ich und viele andere Polizisten respektieren, dass du nur deinen Job gemacht hast, und wir wissen alle, dass unsere Arbeit manchmal beschissen sein kann. Es geht nicht um die Schüsse, Bobby, sondern um deine Einstellung seither.« Sie klopfte an den Türrahmen. »Die Polizeiarbeit basiert auf Vertrauen. Du bist entweder dabei oder nicht. Denk darüber nach, Bobby!«

7
    Als ich neun Jahre alt war, verliebte ich mich in einen Kaffeebecher. Er stand in einem kleinen Laden neben der Schule, in dem ich mir manchmal nach dem Unterricht Süßigkeiten kaufte. Der Becher war rosa und handbemalt mit Blumen, Schmetterlingen und einem kleinen orange getigerten Kätzchen. Man konnte sich aussuchen, welcher Name auf dem Becher stehen sollte. Ich wollte Annabelle. Der Becher kostete drei Dollar und neunundneunzig Cent – das war das Milchgeld von etwa zwei Wochen.
    Ich musste noch eine quälend lange Woche warten bis zu dem Donnerstag, an dem meine Mutter erklärte, sie müsse einige Besorgungen machen und könne mich vielleicht nicht rechtzeitig von der Schule abholen. Den ganzen Tag war ich zappelig und konnte mich kaum konzentrieren.
    Um fünf nach halb drei klingelte die Schulglocke. Die Kinder, die nicht mit dem Bus fuhren, versammelten sich vor dem Gebäude. Ich besuchte diese Schule seit sechs Monaten und gehörte zu keiner Clique, deshalb fiel es nicht auf, dass ich mich davonstahl.
    Ich ging in den Laden und suchte mir sorgfältig einen Becher aus, nahm ihn in beide Hände und trug ihn behutsam zur Kasse. Dann zählte ich mit zittrigen Fingern vier Dollar in Fünfundzwanzig-Cent-Stücken auf die Theke.
    Die Verkäuferin, eine ältere Frau, fragte mich, ob mein Name Annabelle sei.
    Für einen Moment verschlug es mir die Sprache, und beinahe hätte ich die Flucht ergriffen. Ich durfte nicht Annabelle sein. Es war lebenswichtig, dass kein Mensch meinen echten Namen erfuhr. Das hatte mir mein Vater immer und immer wieder eingeschärft.
    »Der Becher ist für eine Freundin«, brachte ich im Flüsterton heraus.
    Die Frau lächelte freundlich und wickelte meinen neuen Schatz in mehrere Lagen schützendes Papier.
    Erst vor der Ladentür steckte ich den Becher in meinen Ranzen und ging zurück auf den Schulhof. Eine Minute später fuhr Mutter mit unserem neuen Kombi vor und trommelte geistesabwesend mit den Fingern aufs Steuerrad.
    Das schlechte Gewissen fraß mich schier auf. Ich war überzeugt, dass Mutter durch den blauen Vinylstoff meiner Schultasche schauen konnte, den Becher anstarrte und genau wusste, was ich getan hatte.
    Stattdessen erkundigte sie sich, wie mein Tag gewesen war. Ich sagte »schön« und kletterte auf den Beifahrersitz. Sie warf keinen Blick in meine Tasche, fragte nicht nach dem Becher. Sie fuhr einfach nach Hause.
    Ich versteckte den Becher im obersten Fach meines Schrankes hinter dem Stapel Kleidern, aus denen ich herausgewachsen war. Abends, wenn meine Eltern glaubten, ich würde schlafen, holte ich ihn hervor, nahm ihn mit ins Bett. Unter der Decke bewunderte ich im Schein der Taschenlampe die glitzernde rosa Glasur, strich mit der Fingerspitze über die leicht erhöhte Bemalung – die Blumen,

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