Kühlfach betreten verboten
so!« Ein breites Grinsen zeigte sich auf Zeyneps Gesicht. »Die sind abgehauen, was? Hatten ja genug Stress mit ihrem Alten. Tja, da kann ich aber leider überhaupt nicht helfen.«
Gregor rutschte von dem Tisch, auf dem er gesessen hatte, zog einen Stuhl ganz nah an Zeynep heran und hockte sich falsch herum drauf. Sein Gesicht war nur noch fünfzig Zentimeter von Zeyneps Gesicht entfernt. Gregor ist zwar kein Quasimodo, aber er ist auch nicht mit George Clooney zu verwechseln. Schon gar nicht, wenn er sauer ist. Zeynep zuckte zurück.
»Es geht hier nicht um einen kleinen Spaß, Zeynep. Die beiden sind in ernsten Schwierigkeiten. Wenn du also diewinzigste Idee oder Ahnung hast, wo sie stecken könnten, will ich das jetzt hören.«
Das zufriedene Grinsen auf Zeyneps Gesicht hatte einem Ausdruck von Verunsicherung Platz gemacht. »Was denn für Schwierigkeiten?«
Gregor schwieg, starrte sie aber weiterhin durchdringend an. Unter seinem intensiven Blick wurde aus der Verunsicherung echte Besorgnis. »Meinen Sie ernste Schwierigkeiten? Was richtig Schlimmes?«
Gregor schwieg und starrte.
»Äh, nein, ich weiß nicht, wo sie sein könnten. Echt nicht.«
Gregor zog das Foto von Sibel Akiroglu aus der Tasche und reichte es Zeynep. »Kennst du die?«
»Die ist Lehrerin an der Grundschule, auf die meine kleine Schwester geht.«
»Kennst du sie näher?«
Zeynep prustete verächtlich durch die Nase. Offenbar hatte sie ihre Selbstsicherheit wiedergefunden. »Nicht näher als alle anderen Oberstufenschüler hier.«
»Was heißt das?«
»Sie kommt regelmäßig hierher und macht als positives Beispiel Werbung dafür, dass Migrantenkinder Lehrer oder Bullen oder so was werden sollen.«
Sie hatte das Wort Bullen mit einem verächtlichen Unterton rausgehauen, aber Gregor zuckte nicht einmal mit der Wimper.
»Hast du sie mal mit Yasemin zusammen gesehen?«
Zeynep zögerte. »Nein.«
»Danke, das wäre im Moment alles«, sagte Jenny und gab dem Mädchen eine Visitenkarte mit.
»Ist Yasemin eigentlich beliebt?«, fragte Gregor, als Zeynep schon die Hand auf der Türklinke hatte.
»Klar, warum nicht?« Dann war sie weg.
Na toll. Was wussten wir jetzt Neues? Ich beobachtete Gregor und Jenny dabei, wie sie zurück ins Sekretariat gingen und dem Cordanzug die Liste mit den Schülern zeigten, mit denen sie reden wollten, aber Exlover Dominic Nolde, der Einzige, der mich interessiert hätte, war auf Klassenfahrt und deshalb nicht verfügbar.
»Seit wann ist er verreist?«, fragte Gregor mit deutlichem Interesse.
»Die ganze Woche.«
»Wo?«
»Jugendherberge Hellenthal. Erlebnispädagogik im Hochseilgarten.«
Gregor glotzte den Cordanzug an, als hätte der ihm erklärt, dass die Klasse ein nach Geschlechtern getrenntes, berufsvorbereitendes Praktikum auf der Reeperbahn machte.
»Das ist ganz wichtig für die Integration und die Übernahme von Verantwortung, für Vertrauensbildung und solche Dinge«, salbaderte der Cordanzug herum, während Jenny ernsthaft nickte und Gregor leise fluchte.
»Geben Sie mir die genaue Adresse und eine Telefonnummer, unter der ich den Lehrer erreiche.«
Mit diesen Informationen versorgt, verließen die beiden das Schulgelände und bestellten im gegenüberliegenden Café zwei riesige Pappeimer voll Koffein. Offenbar waren sie uneins, ob sie umgehend und gemeinsam in die Eifel fahren sollten oder später oder getrennt oder gar nicht oder was. Ich ließ sie diskutieren und war froh, als Gregor endlich erklärte, dass man sofort und gemeinsam Yasemins Exfreund aufsuchen und befragen sollte. Erstens fand ich die Entscheidung richtig, bevor die Neuigkeit von Yasemins Tod durchsickerte, und außerdem wollte ich unbedingt sehen, wie vertrauensbildend es sein kann, wenn der Klassenclown den Streber vom Hochseil schubst.
Ich hätte nicht mit den beiden im Auto fahren müssen, aber anfangs begleitete ich sie, weil Gregor immer gute Musik in seiner Karre hatte. Er legte irgendeine Krachband auf, deren Namen ich nicht kannte, aber natürlich protestierte Jenny schon, bevor sie auf der Autobahn waren, und so zog ich es vor, mal schnell nach meiner Kleingeistertruppe zu sehen. Um es kurz zu machen: Ich fand sie nicht. Sie waren nicht in der Uniklinik, obwohl ich in ihren Zimmern, auf der Kinderstation, in der Cafeteria und im Kiosk nach ihnen suchte. Sie waren spurlos verschwunden. Ich war mir nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Waren sie wieder in ihren Körpern?
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