Kühlfach betreten verboten
Schwachsinn mich der vermissten Lehrerin nicht näher brachte. Ich musste mich auf Sibel Akiroglu konzentrieren, bevor ich tagelang mit Gregor hinter dem Mörder von Yasemin herhetzte und dann feststellte, dass die beiden Fälle gar nichts miteinander zu tun hatten. Also zurück zur Grundschule.
Dort war inzwischen Feierabend, daher hing ich eine Weile ideenlos herum, bevor ich mich an den Gammelbruder der Lehrerin erinnerte. Mal sehen, was der Türke mit den amerikanischen Ernährungsgewohnheiten so trieb.
FÜNF
Donnerstag, 17 Uhr 10
Akif Akiroglu kam gleichzeitig mit mir vor der Haustür an. Seine Hand zitterte so stark, dass er den Schlüssel erst beim vierten Versuch in das Schloss bekam. Er brauchte geschlagene drei Minuten, um seine Wohnungstür zu erreichen. Das Aufschließen ging wieder in Zeitlupe vor sich, endlich stand er im Flur, ließ die Jacke fallen, streifte die Stiefel von den Füßen, schlich ins Badezimmer und kotzte eine geschlagene Viertelstunde lang in die Kloschüssel, für die jede Reinigung zu spät kam. Dann zog er auch den Rest der Klamotten aus, was mir zwei schockierende Sinneseindrücke bescherte:
Erstens stank er aus jeder Pore erbärmlich nach Bier, Rauch (nicht nur von legalen Tabakerzeugnissen), billigem Fusel und Sex. Der letzte Geruch war eindeutig der frischeste, wobei mir absolut schleierhaft war, wie er in dem Zustand seine Schwellkörper überredet haben könnte, in Dienst zu treten. Aber vielleicht war auch der Sex so schlecht gewesen, dass er sich erst hinterher ins Wachkoma gepegelt hatte.
Wie auch immer er in seinen aktuellen Zustand geraten war, war natürlich völlig egal, viel mehr interessierte mich jetzt die Frage, was ich aus dem zweiten Sinneseindruck deroptischen Art schließen sollte: Wo kam der Typ am Donnerstagnachmittag vollgesoffen und mit einer dicken Knarre im Gürtel, einer kleinen Knarre am Knöchel und einem Springmesser am Unterarm her? Springmesser? Hoppla!
Endlich rappelte Akif sich auf, schaufelte esslöffelweise Kaffeepulver in eine Kaffeemaschine, füllte Wasser in den Tank und stellte das Gerät an. Als er bemerkte, dass er kein Filterpapier benutzt hatte, zuckte er die Schultern und schüttelte den Kopf. Dann ging er duschen. Die Haut begann sich bereits vom Körper zu lösen, bevor er endlich das Wasser abdrehte, tropfend in die Küche latschte, fünf Esslöffel Zucker in den trüben Kaffee rührte und den ersten Viertelliter kochend heiß hinunterschüttete. Das Kaffeemehl hing zwischen seinen Zähnen und in den Mundwinkeln, aber er bemerkte es gar nicht. Er stand einfach da mit der siffigen Tasse in der Hand, immer noch tropfend, mit langsam klarer werdendem Blick. Allerdings ging der Blick minutenlang ins Leere, Akif regte sich nicht, und ich befürchtete schon, ich sei Zeuge eines plötzlichen Herztodes mit unverzüglich einsetzender Totenstarre geworden, als er mit einem lauten Schrei die Tasse gegen die Wand donnerte, dass der Kaffeesatz sich in der gesamten Küche verteilte und die querschlagenden Scherben klackernd gegen das Fenster flogen. Dann brach er auf dem Fußboden zusammen und – schlief ein.
Tja, jetzt interpretieren wir das mal. Der Kerl hat ein erhebliches Drogenproblem. Außerdem hat er ein Hygiene- und ein Schlafproblem, ein Potenzproblem allerdings vermutlich nicht. Also im Grunde genommen nichts Schlimmes – bis auf die Raketenwerfer und das Schneidwerkzeug im Ärmel. Wie passte dieser völlig ausgeflippte Typ in eine Familie wie die Akiroglus? Und was hatte er mit seiner Schwester angestellt? Denn dass ein von Waffen starrender Psychopath, dersich vorsätzlich mit kochend heißem Filterkaffee folterte, mit dem plötzlichen Verschwinden seiner Schwester nichts zu tun hatte, wäre schon ein ziemlich dicker Zufall.
Ich düste noch mal durch die Wohnung in der Hoffnung auf eine Antwort, aber leider hatte er keinen Bekennerbrief in deutscher Sprache herumliegen, keinen Schlüssel, auf dem »Sibels Kidnapping-Zelle« stand oder einen von seiner Schwester verfassten Aufruf an die Eltern, sie mögen tun, was der Bruder sagte, damit sie wieder freikomme. Nichts. Nur das ganz normale Durcheinander von Fast-Food-Resten und High-Tech-Multi-Media und mittendrin ein schnarchender und sabbernder nackter Türke, dessen drogeninduziertes Koma mit Sicherheit mindestens fünf Stunden dauern würde. Ich beschloss, später wieder nach ihm zu sehen.
Zunächst hatte ich das beunruhigende Gefühl, dass an der
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