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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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hoch (ersparen Sie mir die
     Einzelheiten, nur so viel: Bei einer Obduktion wird die Schädelhaut quer von Ohr zu Ohr aufgeschnitten und nach vorne und
     hinten weggeklappt …), starrte ihr einen Augenblick ins Gesicht und fragte: »Bist du sicher?«
    »Ja«, sagte ich, aber Martin bekam das vermutlich gar nicht richtig mit, weil sein Gegenüber mit dem Diktiergerät ihn überrascht
     anstarrte und fragte, was los sei. Klar, er hatte ja unsere Unterhaltung nicht mitbekommen, sondern sah nur, dass Martin plötzlich
     mitten in der Schnippelei |99| innehielt, der Leiche das Gesicht zurechtrückte und sie anstarrte. Dass ihm das ein bisschen seltsam erschien, war wohl verständlich,
     mir ging der Typ aber furchtbar auf den Sack, weil er Martins Aufmerksamkeit wieder von der Leiche und mir abzog.
    »Ich hatte plötzlich den Eindruck, dass ich die Frau vielleicht schon einmal gesehen habe«, sagte Martin.
    »Der Eindruck kam dir nicht vorhin, als du ihr ins Gesicht gesehen hast, sondern jetzt, während du an ihren Nieren herumschneidest?«,
     fragte der Kollege eindeutig zweifelnd.
    »Äh, ja.« Mehr sagte Martin nicht, alles Weitere wäre vermutlich sowieso gegen ihn verwendet worden.
    »Und?«, fragte der Kollege weiter. »Kennst du sie nun oder nicht?«
    »Äh, nein.«
    »Können wir dann weitermachen?«
    Martin nickte und wandte sich wieder den Innereien zu, die der ebenfalls vermummte Präparator fein säuberlich heraustrennte
     und ihm zur Befundung reichte. Inzwischen hatte ich einigermaßen kapiert, wer bei einer Obduktion was machte, aber das interessierte
     mich im Augenblick natürlich gar nicht.
    »Wer ist sie?«, fragte ich Martin.
    »Unbekannte Tote«, erwiderte er in seinem geschäftsmäßigen Tonfall.
    »Woran ist sie gestorben?«, fragte ich weiter.
    »Das wissen wir noch nicht.«
    »Aber ihr werdet es herausfinden?«
    Martin nickte. »Die Staatsanwaltschaft hat die ganze Palette bestellt.«
    |100| »Was für eine Palette?« Ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, wovon er sprach.
    »Wir machen eine komplette Obduktion, einschließlich DNA und Toxi.«
    Er musste meine Frage gespürt haben, bevor ich sie überhaupt stellen konnte, denn er erklärte sofort: »Es gibt eine genetische
     Untersuchung und eine toxikologische. Anhaftende äußere Spuren hat die Kripo schon genommen, die werden in der Kriminaltechnik
     untersucht.«
    »Wo wurde sie gefunden?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung. Aber sie hat ein paar Tage im Freien gelegen«, sagte Martin. »Es gibt Bissspuren …«
    »Sie war unverletzt, als ich sie gesehen habe«, warf ich ein.
    »Bissspuren von Tieren, die daher stammen, dass sie im Freien lag.«
    Ich dankte vielmals und verzog mich in mein Kühlfach. Er konnte mir mit seinen Bissspuren gestohlen bleiben. Ich musste wahrlich
     nicht alles wissen. Die Tatsache, dass die Leiche der Frau aus dem geklauten Auto aufgetaucht war, bescherte mir auch so genug
     Stoff zum Nachdenken. Jetzt gab es endlich einen Beweis, dass meine Geschichte stimmte. Vorausgesetzt natürlich, dass Martin
     und seine Kollegen Spuren fanden, die meine Geschichte bestätigten. Sonst würde er wieder sagen, dass ich mir das alles ausgedacht
     haben könnte und einfach eine beliebige Leiche als die Tote aus dem Kofferraum ausgegeben habe. Ich hatte keine Ahnung, wie
     viel Information bei einer »Obduktion, einschließlich DNA und Toxi« herauskommen kann, aber ich hoffte wirklich von ganzem
     Herzen, dass Martin mir endlich glauben und seine Ermittlungen fortsetzen würde. |101| Falls nicht, müsste ich vielleicht bis in alle Ewigkeit hier im Keller des rechtsmedizinischen Instituts herumhängen und Generationen
     von Leichenbeschauern anbetteln, den Fall von Sascha genannt Pascha Lerchenberg wieder aufzurollen … Eine grauenhafte Vorstellung!
    Natürlich bemerkte ich selbst, dass ich mich langsam, aber sicher in eine gewisse Hysterie hineinsteigerte, aber das Bewusstsein
     einer solchen mentalen Überreaktion bedeutet noch nicht, dass man sie auch einfach wieder abstellen kann. Im Gegenteil. Die
     Erkenntnis, dass das seelische Gleichgewicht schwer gestört ist, führt eher dazu, dass man sich noch schlechter fühlt, noch
     schwärzer sieht und sich selbst noch mehr bemitleidet. Und genau das tat ich. Ausgiebig. Ich suhlte mich in Selbstmitleid,
     bis mir irgendwann so schlecht davon war, dass ich am liebsten geheult hätte. Aber wie?
    An der Stelle überkam mich plötzlich eine Art Scham. Echt. Hätte ich auch nie

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