Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
Vom Netzwerk:
Flüssigkeit. Man plauderte über den bevorstehenden Umzug. UMZUG??????
    Mir rutschte das Herz in die Hose, bildlich gesprochen. Der gesamte Bürotrakt sollte geräumt werden. Nur noch wir Leichen
     würden allein in unseren Kühlfächern herumliegen, alles Leben würde entfernt, würde woanders weiterleben. Hier bliebe der
     Tod und nur der. Zum Sezieren kommen die Kollegen vorbei, dann waschen sie sich die Hände und verschwinden wieder. Mir war
     schon wieder zum Jammern zumute. Heute war definitiv nicht mein Tag. Ich hockte mich auf Katrins Schulter, bildete mir ein,
     ihr seidiges Haar spüren zu können und ihre samtweiche Haut zu berühren, und beruhigte mich allmählich wieder. Langsam, aber
     sicher begann ich, den Kontakt zu ihr zu suchen. Ich flüsterte »Katrin« oder »Kätzchen« und solches Zeug, konzentrierte meine
     Vorstellung auf ihre geilen Hupen und ihr rassiges Fahrgestell und sandte ihr feurige Blicke und heißen Atem, den ich ihr
     in den Ausschnitt ihres eng anliegenden Pullovers blies. Eine ganze Litanei von Ferkeleien murmelte ich ihr ins Ohr und ließ
     vor meinem geistigen Auge die Vorstellung von nackter Haut und zuckenden Körpern entstehen.
    Nichts. Keine Reaktion. Mir wurde die Sache selbst bald langweilig, weil sich natürlich auch bei mir nichts regte. Mich überkam
     die Erinnerung an eine Zeit, in der ich das ganze Gesicht voll Pickel hatte und regelmäßig |105| den Schlafanzug wechseln musste – und das lag nicht an dem schwarzen Rand am Kragen, wenn Sie wissen, was ich meine. Schon
     wieder ein sentimentaler Absturz in tiefe, emotionale Dunkelheit.
    Jetzt hatte ich die Schnauze voll. So viel gelitten wie heute hatte ich schon lange nicht mehr. Wenn das der Weg ins Paradies
     war, konnte es mir gestohlen bleiben.
    »Martin«, rief ich, und er zuckte erwartungsgemäß zusammen. »Können wir uns jetzt endlich über die Fortsetzung der Ermittlungen
     unterhalten?«
    Er murmelte eine Entschuldigung und verließ fluchtartig die Teeküche. Ich folgte ihm, nicht ohne Katrin noch schnell eine
     gedachte Kusshand zuzuwerfen.
    »Wer hat sie umgebracht?«, fragte ich, kaum dass wir die Teeküche verlassen hatten. Martin strebte zu seinem Büro.
    »Niemand«, sagte er, während er den Flur entlanghetzte. Ich weiß nicht, warum er sich so beeilte, aber ich hatte keine Probleme,
     ihm zu folgen.
    »Willst du mich verscheißern?«, fragte ich wenig verbindlich, entschuldigte mich aber sofort, um Martins Kooperationsbereitschaft
     nicht auf eine zu harte Probe zu stellen.
    »Sie starb an einem anaphylaktischen Schock.«
    »Aha.« Mein medizinisches Basiswissen besteht aus einem überschaubaren Themenkatalog. Erkältung, Kopfweh, Durchfall, Entzug,
     solches Zeug. Anaphylaktischer Schock gehört, wie Sie sich sicher schon gedacht haben, nicht dazu. Martin konnte sich diese
     Wissenslücke offenkundig nicht vorstellen, denn erst nach mehrmaligem Nachfragen ließ er sich dazu herab, mir zu sagen, dass
     die Frau an einer Allergie krepiert war. Bis dahin hatte ich |106| Allergiker immer für Aufschneider gehalten. Sie sind nicht im eigentlichen Sinne krank, sondern reagieren vollkommen übertrieben
     auf Dinge, die für jeden normalen Menschen einfach normale Dinge sind. Wie Blütenstaub. Oder Haselnüsse, wie auch im Fall
     unserer Leiche. Dass man an so einer eingebildeten Geschichte sterben konnte, war mir neu. Der Frau vermutlich auch, nur dass
     ihr Erkenntniszugewinn nicht lang gedauert haben dürfte, da er von einem abrupten Tod unterbrochen, ja sogar beendet wurde.
     Dumm gelaufen, könnte man jetzt sagen, und damit wäre die Todesart ziemlich treffend beschrieben. Allerdings ergab sich aus
     der Ursache ihres frühzeitigen Ablebens eine zwingende Frage.
    »Warum, zum Geier, versucht man eine Leiche loszuwerden, die an einer Haselnuss gestorben ist?«
    Er zuckte die Schultern.
    »Bist du sicher, dass nicht doch jemand nachgeholfen hat?«, hakte ich nach.
    »Die chemisch-toxischen Untersuchungsergebnisse stehen natürlich noch aus.«
    Das hatte ich auf Anhieb verstanden und war irgendwie stolz darauf.
    »Aber im Großen und Ganzen bin ich sicher, ja.«
    Wir schwiegen eine kurze Zeit. Martin starrte auf seinen Bildschirm.
    »Nun lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen«, sagte ich und wiederholte damit exakt die Worte meiner Mutter,
     mit der sie mich früher zur Weißglut hatte treiben können.
    »Sie ist ungefähr Mitte zwanzig, einen Meter zweiundfünfzig groß,

Weitere Kostenlose Bücher