Kühlfach vier
einen Tränensack, als bestünden seine Tränen neuerdings
aus Tintenfischtinte, die Färbung des Blutergusses hatte ihre höchste Leuchtkraft erreicht und seine Augen – tja, das war
echt ein Ding. Sein Blick hatte sich verändert. Aus der freundlichen, offenen, unschuldigen Art, mit der er bisher die Menschen
in seiner Umgebung angeblickt hatte, war in den letzten Tagen eine Art genervte Müdigkeit geworden. Oder müde Gereiztheit,
gewürzt mit ein bisschen Leck-mich-am-Arsch-Einstellung. Vorhin, als er in dieser Kuschelstimme mit Birgit gemurmelt hatte,
war vor allem die Müdigkeit zu sehen gewesen, aber jetzt, wo er mit mir sprach, brach die ganze negative Ladung durch die
Pupillen. Na super, wieder war |162| ich der Böse Bube, dabei hatte ich ihn nicht verprügelt. Jetzt war ich sogar bereit, ihm bei der Karre seiner Tussi zu helfen.
Ein bisschen Dankbarkeit wäre da ja wohl ganz angebracht. Oder ein Deal. Das war noch besser. Er würde mir versprechen müssen
…
Martin kam angezogen aus dem Schlafzimmer, der Scheitel war ordentlich gezogen, er sah aus wie Mamis Liebling. Jetzt noch
das Wollmäntelchen … Ich überlegte, ob Olli ihn auch nur ansatzweise ernst nehmen würde, wenn er ihn so sähe. Andererseits
wüsste Olli und jeder, der diesem Typ über den Weg liefe, sofort, dass er nicht gefährlich ist. Das ist gut, wenn man sich
direkt in die Höhle des Löwen begibt. Ich sagte also nichts. Jedenfalls nicht zur Kleidung.
»Martin«, begann ich mit meinem Deal, »ich bin bereit, dir zu helfen, das Auto von Birgit wiederzubeschaffen.«
Martin stockte nicht einmal. »Na klar«, sagte er.
»Das mache ich aber nur, wenn du mir versprichst, weiter in meinem Mordfall zu ermitteln.«
Jetzt spielte er Salzsäule.
»Was sagst du dazu?«, quengelte ich, als mir sein Getue zu doof wurde. Er erinnerte mich an diese Typen, die sich das Gesicht
weiß pinseln, ein Bettlaken überwerfen und irgendwo an einer Straßenecke stehen – und dann Geld dafür haben wollen, dass sie
sich nicht bewegen. Die fand ich schon immer bescheuert.
»Ich hatte gedacht, dass es nach all dem, was ich bereits für dich getan habe, eine Selbstverständlichkeit darstellt, dass
du mir jetzt auch einmal hilfst«, sagte er.
»Und morgen haust du in den Sack und lässt mich allein |163| in der Scheiße sitzen«, sagte ich und ich konnte spüren, dass ihm der Gedanke tatsächlich schon gekommen war. »Nein«, sagte
er widerstrebend. »Ich werde dir weiter helfen. Aber jetzt ist Birgits Auto dran.«
Martin ist ein Ehrenmann, deshalb gab ich mich mit diesem Versprechen zufrieden. Wir verließen die Wohnung, kratzten die Scheiben
der Ente frei, holten die Autoschlüssel bei Birgit ab, die wir zu ihrer eigenen Sicherheit besser nicht mitnahmen, und fuhren
zu Olli.
Olli besitzt einen Gebrauchtwagenhandel an der Ausfallstraße. Der sieht genau so aus, wie man sich das vorstellt, einschließlich
Wimpelchen und riesengroßen Schildern, auf denen Preise stehen, die den Eindruck erwecken sollen, günstig zu sein. Sind sie
natürlich nicht. Sind solche Preise aber nie, deshalb ist das eigentlich gar nicht der Rede wert.
Olli war natürlich da, er saß breitbeinig in seinem Schreibtischstuhl und glotzte Martin an, als der das Büro betrat. Olli
ist immer da, obwohl er nicht da wohnt. Kein Mensch weiß, wo Olli wohnt, vielleicht weiß er es selbst nicht mehr und ist deshalb
immer in seinem Laden. Nur ganz selten ist er nicht da und dann auch nur für ein paar Stunden. Sagt man.
Ich drehte erst mal eine Runde zur Orientierung, und dieses war das erste Mal, dass ich meine Körperlosigkeit so richtig geil
fand. Ich schwebte über den Hof, glotzte in jeden Winkel und dann, und das wäre für einen Menschen aus Fleisch und Blut vollkommen
unmöglich gewesen, schlich ich mich in die große Halle, die hinten auf dem Gelände stand.
|164| Im vorderen Teil waren die Werkstatt und der Lackierraum, alles vom Feinsten ausgestattet und mit einem hervorragenden Ruf
über die Stadtgrenzen hinaus. Bis hierher kamen auch reguläre Kunden. Hinter der Lackiererei ging die Halle aber noch weiter,
was man weder von außen noch von innen so richtig erkennen konnte. Man musste es wissen und ich wusste es. Und dort stand,
zwischen dicken BMWs, Daimlers, Jaguars und sogar ein paar Audis, Birgits Schätzchen. Einige dunkelhaarige, dunkelhäutige
Männer standen zwischen den Wagen herum und unterhielten sich in einer
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