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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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Martin zu! Ich brüllte los, Martin zuckte so stark zusammen, dass man es sogar außerhalb seines
     Dufflecoats sehen konnte.
    »Was für ein Mann?«, fragte Martin nach einer Erholungspause, in der er ein freundliches Lächeln versuchte, das ihm total
     misslang.
    »Groß.« Sie machte mit den Armen eine Geste, die mehr dick als groß bedeutete.
    »Große Mann mit schöne Auto«, fügte sie an.
    Wir horchten auf. »Ein kleines, silbernes, schnelles Auto?«, gab ich vor, Martin formulierte die Frage für die Alte.
    »Nix klein. Große Mann, große Auto.«
    Aha. Schade. Aber eigentlich logisch. Dicke Männer fuhren dicke Autos.
    »War sie häufig zu Hause oder ging sie arbeiten?«, fragte Martin.
    »Am Tag zu Hause, in Nacht weg.«
    »Vielleicht kellnerte sie in einem Restaurant?«, schlug Martin vor.
    Die Alte schüttelte energisch den Kopf und machte eine Geste, die international verständlich ist. Martin wurde knallrot. Die
     Alte grinste wieder und legte eine Hand auf seinen Arm. Martin erstarrte.
    Sie ließ seinen Arm los. »Nix Straße.« Für die nächste Geste rieb sie Daumen und Zeigefinger aneinander.
    Aha. Sie meinte, die Tote sei keine billige Straßennutte gewesen. Ob die Hundertjährige das einschätzen konnte? Eine Frau,
     die in Druckerschwärze marinierte Sardinen im Kühlschrank einem Haltbarkeitsexperiment unterzog? |181| Ich beantwortete die Frage für mich selbst mit einem klaren Ja. Die Frau war nicht doof, sie hatte nur eine seltsame Auffassung
     von modernem Wohnumfeld, Sauberkeit und Nahrungszubereitung. Aber sie hatte Lebenserfahrung und darum ging es hier. Ich glaubte
     ihr aufs Wort.
    Das Einzige, was mich jetzt noch störte, war die Frage, warum diese Frau, die so offensichtlich in ihrer eigenen Welt lebte,
     die deutsche Polizei angerufen hatte. Es mochte ja ein Vorurteil sein, aber bisher hatte ich nicht den Eindruck gehabt, dass
     unsere Mitbürger mit westwärts gerichtetem Migrationshintergrund eine besondere Nähe zur deutschen Exekutive an den Tag gelegt
     hätten. Sie verstehen, was ich damit sagen will? Dass Russen die deutschen Bullen anpissen, wo sie nur können. Martin hatte
     offenbar dieselbe Idee, allerdings auf einem anderen sprachlichen Niveau.
    »Frag sie«, sagte ich.
    »Das könnte sie als Beleidigung auffassen«, sagte er.
    »Na und?«, sagte ich. »Eigentlich wissen wir doch, was wir wollen.«
    Martin fragte. Nett formuliert. So nett, dass Ekaterinchen auf Anhieb erst mal gar nicht verstand, was er von ihr wollte.
     Dann fiel der Groschen.
    »Wo ich herkomme, kannst du Polizei kaufen wie Frauen. Hier Polizei gut.«
    So einfach ist das manchmal. Ich hatte in meinem kurzen Leben die Bullen verarscht, wo ich nur konnte, und dieses alte Mütterchen
     liebte die deutsche Polizei wegen ihrer weißen Weste und erledigte ihre staatsbürgerliche Pflicht deswegen mit großer Sorgfalt.
     Ich schämte mich. Heimlich natürlich, damit Martin nichts bemerkte.
    |182| Wir verließen die Wohnung, das Haus und den Stadtteil und ich fragte Martin, was wir mit dem angefangenen Abend nun machen
     wollten.
    »Ich bringe dich ins Institut«, sagte er. »Dann habe ich noch etwas vor.«
    Birgit! Ich konnte es spüren, auch wenn er sich die größte Mühe gab, mir diesen Gedanken vorzuenthalten.
    »Okay«, sagte ich.
    Wir fuhren zum Institut, Martin kam noch mit rein, schaltete den Fernseher in Konferenzraum zwei ein, ging in den Sektionstrakt
     und schrubbte sich die Hände mit heißem Wasser und Desinfektionsmittel, dann rief er »Bis morgen« und verschwand.
    Natürlich blieb ich nicht im Institut. So toll ist das Fernsehprogramm auch nicht, dass ich mich die ganze Nacht davorhänge,
     wenn ich eine Alternative habe. Und diese Alternative war doch sehr interessant.
    Bisher hatte ich noch nicht viel Gelegenheit gehabt, das Verhältnis von Birgit und Martin etwas näher zu betrachten. Überhaupt
     schien dieses Verhältnis ja ziemlich neu zu sein. Da konnte noch eine Menge passieren. Ich hielt meine Gedanken streng bei
     mir, damit Martin meine Anwesenheit nicht bemerkte, und fuhr mit ihm zu Birgit.
    Sie hatte ihn offenbar erwartet.
    Als sie die Tür öffnete, wurde ihr blondes Haar von der Lampe in ihrem Flur angestrahlt und verpasste ihr einen echten Heiligenschein,
     wie man ihn von den Bildchen aus dem Religionsunterricht kennt.
    Der Rest war nicht heiligentauglich. Ihre Nadelstreifenhose, die ich schon kannte, saß verdammt knapp, und der weiße Pullover,
     den sie heute trug, verpasste

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