Kühlfach vier
zerlegen.
»Es fing damit an, dass ich ein Auto geklaut habe.«
»Es ist nicht gesichert, dass dieses Ereignis der Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung ist oder nur ein Ereignis, das zufällig
ein paar Tage vor deinem Tod eintrat. Wie ja wohl, wenn ich das richtig verstanden habe, auch schon Hunderte von Malen davor«,
warf Martin ein.
Ich musste mich korrigieren. Nicht seine geistige Potenz in Sachen theoretischer Betrachtungen hatte nachgelassen, sondern
sein Durchblick, was das brutale, kranke, irdische Leben und Sterben betraf. Sollte mir diese Erkenntnis jetzt Hoffnung machen?
|211| »Ich habe zwar schon viele Autos geklaut, aber noch nie einen SLR und noch nie ein Auto mit einer Leiche im Kofferraum«, entgegnete
ich möglichst emotionslos, um sachlich kühl und logisch zu wirken.
»Okay«, lenkte Martin ein und langsam hatte ich den Eindruck, dass seine geistige Trägheit nachließ. Ich sag ja immer, Arbeit
behindert die menschliche Entwicklung, der Zwangsurlaub begann bereits, seine heilende Wirkung zu entfalten.
»Also«, begann ich noch einmal, »ich klaue ein Auto mit einer Leiche drin, fühle mich ein paar Tage irgendwie verfolgt und
werde dann von einer Brücke gestoßen. Damals habe ich ihn nicht bewusst wahrgenommen, aber inzwischen bin ich mir ziemlich
sicher, dass ich in den letzten beiden Tagen meines irdischen Lebens den Bulgaren mehrfach gesehen habe.«
»Aha.«
»Die Leiche von Semira bleibt ein paar Tage verschwunden und kommt dann hier an mit Tierfraßspuren, die darauf hindeuten,
dass sie in einem Waldstück abgeladen worden ist«, fuhr ich fort.
Martin nickte.
»Erst kann niemand die Frau identifizieren, dann taucht plötzlich ihr Bruder hier auf, also der Typ, den ich bereits kenne,
um sie zu einer ordentlichen Bestattung nach Hause zu überführen, und am nächsten Tag liegt er selbst tot in der Kühltruhe.«
Martin dachte noch einen Augenblick nach, dann fragte er wieder: »Was hat das mit dem Osten zu tun?«
»Die Autos gehen in den Osten und Hänsel und Gretel kommen auch von da.«
|212| »Okay«, sagte Martin. »Wer ist also der Mörder? Graf Dracula?«
Ich stöhnte laut auf. Er nahm mich nicht ernst.
»Ich weiß nicht, wer der Mörder ist«, sagte ich. »Aber für mich gibt es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Leiche
im SLR, dem Diebstahl und diesen Morden hier. Mehr weiß ich nicht, deshalb brauche ich ja dich, damit wir den Rest auch noch
herausfinden.«
»Ich habe keinen Bock darauf, das herauszufinden«, sagte Martin. »Ich will mich mit Birgit versöhnen, meinen Job wiederhaben
und dich loswerden.« Er überlegte einen Augenblick. »Allerdings nicht in dieser Reihenfolge«, schob er dann hinterher.
Arschloch.
»Glaubst du, dass du eins von beiden, also deinen Job oder Birgit, wiederbekommst, solange du diese Mordserie nicht aufgeklärt
hast?«, fragte ich.
Martin dachte nach, das merkte ich, aber die genauen Gedankengänge konnte er vor mir verheimlichen. Sie waren wohl nicht wirklich
erfreulich, denn seine Miene verdüsterte sich mehr und mehr.
»Du kannst deinen Ruf als impotenter Spinner bei Birgit und als psychisch labiler Skalpierer bei deinem Häuptling nur auf
eine einzige Art und Weise wieder in Ordnung bringen: Du musst allen beweisen, dass dein wirres Gefasel keine Spinnerei war,
sondern dass du von Anfang an mehr wusstest als die anderen. Weil ich es dir gesagt habe.«
»Ich werde niemals wieder zu anderen Menschen von dir oder über dich sprechen«, sagte Martin. »Egal, wie viele Jahrhundertverbrechen
ich aufklären könnte, würde mir diese Geschichte kein Mensch glauben.«
|213| »Dann lass mich aus dem Spiel«, lenkte ich ein, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass er diesen Schwur noch brechen würde.
»Aber klär die Verbrechen auf, sonst ist dein Ruf auf ewig dahin.«
Er dachte wieder, und zwar ziemlich lange, nämlich bis wir vor seiner Wohnungstür angekommen waren.
»Und was, stellst du dir vor, soll ich jetzt als Nächstes tun?«, fragte Martin.
Ich hatte ihn dort, wo ich ihn haben wollte.
»Wir finden den Halter des SLR heraus«, sagte ich.
»Super Idee«, ätzte Martin. »Da leider kein derartiger Wagen als gestohlen gemeldet worden ist, könnte das ein bisschen schwierig
sein, glaubst du nicht?«
»Semira wird uns helfen«, sagte ich. »Die Frau war ’ne Nutte, und Nutten haben Freier. Über die Schiene kommen wir an ihn
ran.«
Martin schloss seine Wohnungstür auf, zog
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