Kühlfach vier
die Schuhe aus, stellte sie ordentlich nebeneinander, hängte den Dufflecoat faltenfrei
auf den dafür vorgesehenen Bügel und ging in die Küche, um sich einen Tee zu kochen.
»Um acht geht’s los«, sagte er. »Bis dahin will ich meine Ruhe haben.«
Ich versprach ihm das Blaue vom Himmel, wurde vor dem Fernseher geparkt und wetterte Talkshow um Talkshow und Seifenoper um
Seifenoper ab, bis endlich der Abend kam und wir uns wieder auf Ermittlungstour begaben.
Diesmal war das Milieu, in dem wir ermittelten, reicher. Es ging zwar immer noch um käuflichen Sex, aber nicht mehr um den
billigen, den man auf der Straße kauft und |214| auf der Straße geliefert bekommt. Wir bewegten uns in einer Umgebung, in die Semira nach der Beschreibung ihrer Nachbarin
gepasst hatte. Teuer. Martin hatte extra seinen langen, dunklen Wintermantel aus dem Schrank geholt, den er für die Beerdigung
seines Vaters gekauft und seitdem nie wieder getragen hatte. Mit der Kutte sah er wenigstens nicht gleich auf den ersten Blick
so aus, als ob er sich verlaufen hätte und nur an der Tür klingelt, um höflich nach dem Weg zu fragen.
Wir hatten die Zeichnung von Semira dabei und hofften einfach, über eine Kollegin an die gewünschten Informationen zu kommen.
Es war klar, dass das kein preiswerter Spaß werden würde, denn das Erste, was ein Mann in einem vernünftigen Nagelstudio angeboten
bekommt, ist nicht etwa Sex, sondern Alkohol. Zu einem Preis, den die Amis selbst während der Prohibition als Abzocke empfunden
hätten.
Das erste Problem bei der Planung war schon gewesen, dass Martin keinen einzigen Puff kannte. Wie soll man die einschlägigen
Rubbelbuden abklappern, wenn man nicht weiß, wo sie sind? Also musste ich mein schlechtes Gedächtnis bemühen, obwohl auch
ich noch nie einen Fuß in einen Reitstall der speziellen Art gesetzt hatte. So reich, dass ich mir das hätte leisten können,
war ich in meinem kurzen Leben nie geworden. Aber natürlich kannte man in meinen Kreisen einige Adressen. Sicherlich nicht
alle, aber für alle hatten wir auch keine Zeit. Wir mussten einfach hoffen, dass wir in der richtigen Gegend suchten. Hatte
Semira ein Auto besessen? Vermutlich nicht, denn davon hatte die Nachbarin nichts gesagt. Natürlich hätte jemand sie regelmäßig
zur Arbeit und zurück fahren können oder |215| sie hätte die Kölner Verkehrsbetriebe benutzt – also mit den Verkehrsbetrieben zum Verkehrsbetrieb … Aber wieder schränkten
wir die Suche auf den Radius ein, den Semira zu Fuß hatte erreichen können, denn auch wir hatten keine Lust, kreuz und quer
durch die ganze Stadt zu gurken. Und innerhalb ihres Fußmarsch-Radius’ lagen einige der sogenannten »Russenpuffs«, wobei darunter
der Einfachheit halber jedes Etablissement verstanden wird, das von Menschen geführt wird, deren Geburtsort östlich von Berlin
liegt. Politisch nicht ganz korrekt, aber eben einfach.
Martin fuhr also erst zum Bankautomaten, holte Bargeld bis zum Anschlag und stellte dann seine Ente in einer unauffälligen
Anwohnerstraße in der Nähe unseres Jagdreviers ab.
Puff eins, Szene eins, Klappe und Action: Die Tür geht auf, der Türsteher winkt Martin durch. Roter Plüsch. Viele laute Menschen
vermutlich osteuropäischer Herkunft mit viel Gold an Handgelenken, Hälsen, Fingern und Zähnen.
Martin geht an die Bar, bestellt ein Bier. Sieht sich um. Viel zu auffällig, das sage ich ihm auch.
»Wie soll ich mich sonst umsehen?«, fragt er.
»Unauffällig«, sage ich.
»Mit geschlossenen Augen, oder was?«, mault er.
Wir sind noch keine zehn Minuten bei der Arbeit und Martin wird schon nörgelig. Das kann ja heiter werden.
Ich will den Zug durch die Puffs der großen Stadt nicht in allen Einzelheiten beschreiben, denn meistens war die Sache weder
aufregend noch anregend, sondern einfach nur |216| ätzend langweilig. Die Innenarchitekten der Branche bewiesen einen plüschigen Einheitslook, der einzig in den Farbtönen variierte.
Helleres oder dunkleres Rot, manchmal mit einem Stich ins Violett oder Orange. Immer setzte Martin sich an die Bar, immer
bestellte er ein Bier, von dem er meist kaum etwas trank, immer wartete er darauf, dass eine Frau sich zu ihm setzte, immer
brachte er das Gespräch auf Semira.
»Wenn du willst, heiße ich Semira«, war die Standardantwort, gegurrt, nicht gesprochen.
»Ich suche eine bestimmte Semira«, antwortete Martin ebenso regelmäßig. »Diese
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