Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
Vom Netzwerk:
die Schuhe aus, stellte sie ordentlich nebeneinander, hängte den Dufflecoat faltenfrei
     auf den dafür vorgesehenen Bügel und ging in die Küche, um sich einen Tee zu kochen.
    »Um acht geht’s los«, sagte er. »Bis dahin will ich meine Ruhe haben.«
    Ich versprach ihm das Blaue vom Himmel, wurde vor dem Fernseher geparkt und wetterte Talkshow um Talkshow und Seifenoper um
     Seifenoper ab, bis endlich der Abend kam und wir uns wieder auf Ermittlungstour begaben.
     
    Diesmal war das Milieu, in dem wir ermittelten, reicher. Es ging zwar immer noch um käuflichen Sex, aber nicht mehr um den
     billigen, den man auf der Straße kauft und |214| auf der Straße geliefert bekommt. Wir bewegten uns in einer Umgebung, in die Semira nach der Beschreibung ihrer Nachbarin
     gepasst hatte. Teuer. Martin hatte extra seinen langen, dunklen Wintermantel aus dem Schrank geholt, den er für die Beerdigung
     seines Vaters gekauft und seitdem nie wieder getragen hatte. Mit der Kutte sah er wenigstens nicht gleich auf den ersten Blick
     so aus, als ob er sich verlaufen hätte und nur an der Tür klingelt, um höflich nach dem Weg zu fragen.
    Wir hatten die Zeichnung von Semira dabei und hofften einfach, über eine Kollegin an die gewünschten Informationen zu kommen.
     Es war klar, dass das kein preiswerter Spaß werden würde, denn das Erste, was ein Mann in einem vernünftigen Nagelstudio angeboten
     bekommt, ist nicht etwa Sex, sondern Alkohol. Zu einem Preis, den die Amis selbst während der Prohibition als Abzocke empfunden
     hätten.
    Das erste Problem bei der Planung war schon gewesen, dass Martin keinen einzigen Puff kannte. Wie soll man die einschlägigen
     Rubbelbuden abklappern, wenn man nicht weiß, wo sie sind? Also musste ich mein schlechtes Gedächtnis bemühen, obwohl auch
     ich noch nie einen Fuß in einen Reitstall der speziellen Art gesetzt hatte. So reich, dass ich mir das hätte leisten können,
     war ich in meinem kurzen Leben nie geworden. Aber natürlich kannte man in meinen Kreisen einige Adressen. Sicherlich nicht
     alle, aber für alle hatten wir auch keine Zeit. Wir mussten einfach hoffen, dass wir in der richtigen Gegend suchten. Hatte
     Semira ein Auto besessen? Vermutlich nicht, denn davon hatte die Nachbarin nichts gesagt. Natürlich hätte jemand sie regelmäßig
     zur Arbeit und zurück fahren können oder |215| sie hätte die Kölner Verkehrsbetriebe benutzt – also mit den Verkehrsbetrieben zum Verkehrsbetrieb … Aber wieder schränkten
     wir die Suche auf den Radius ein, den Semira zu Fuß hatte erreichen können, denn auch wir hatten keine Lust, kreuz und quer
     durch die ganze Stadt zu gurken. Und innerhalb ihres Fußmarsch-Radius’ lagen einige der sogenannten »Russenpuffs«, wobei darunter
     der Einfachheit halber jedes Etablissement verstanden wird, das von Menschen geführt wird, deren Geburtsort östlich von Berlin
     liegt. Politisch nicht ganz korrekt, aber eben einfach.
    Martin fuhr also erst zum Bankautomaten, holte Bargeld bis zum Anschlag und stellte dann seine Ente in einer unauffälligen
     Anwohnerstraße in der Nähe unseres Jagdreviers ab.
    Puff eins, Szene eins, Klappe und Action: Die Tür geht auf, der Türsteher winkt Martin durch. Roter Plüsch. Viele laute Menschen
     vermutlich osteuropäischer Herkunft mit viel Gold an Handgelenken, Hälsen, Fingern und Zähnen.
    Martin geht an die Bar, bestellt ein Bier. Sieht sich um. Viel zu auffällig, das sage ich ihm auch.
    »Wie soll ich mich sonst umsehen?«, fragt er.
    »Unauffällig«, sage ich.
    »Mit geschlossenen Augen, oder was?«, mault er.
    Wir sind noch keine zehn Minuten bei der Arbeit und Martin wird schon nörgelig. Das kann ja heiter werden.
     
    Ich will den Zug durch die Puffs der großen Stadt nicht in allen Einzelheiten beschreiben, denn meistens war die Sache weder
     aufregend noch anregend, sondern einfach nur |216| ätzend langweilig. Die Innenarchitekten der Branche bewiesen einen plüschigen Einheitslook, der einzig in den Farbtönen variierte.
     Helleres oder dunkleres Rot, manchmal mit einem Stich ins Violett oder Orange. Immer setzte Martin sich an die Bar, immer
     bestellte er ein Bier, von dem er meist kaum etwas trank, immer wartete er darauf, dass eine Frau sich zu ihm setzte, immer
     brachte er das Gespräch auf Semira.
    »Wenn du willst, heiße ich Semira«, war die Standardantwort, gegurrt, nicht gesprochen.
    »Ich suche eine bestimmte Semira«, antwortete Martin ebenso regelmäßig. »Diese

Weitere Kostenlose Bücher