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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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hier.«
    Die Sache mit der Zeichnung war eine äußerst delikate Angelegenheit, denn die Betreiber der Häuser haben ein waches Auge auf
     Männer, die sich auffällig verhalten und den Eindruck erwecken, etwas anderes zu suchen als käufliche Liebe. Zweimal flog
     Martin raus, nachdem er die Zeichnung vorgezeigt hatte, danach wurde er vorsichtiger. Trotzdem waren die meisten Reaktionen
     nicht die, auf die wir hofften. Kein Erkennen, keine weiteren Informationen. Zumal viele der Damen, mit denen Martin sprach,
     der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig waren. Bis auf die kleine Blonde, die aussah, als wäre sie beim Bond-Girl
     Casting deshalb nicht genommen worden, weil neben ihr keiner der abgeleckten Jungs, die der Reihe nach den schnöseligen Briten
     spielen dürfen, auch nur den Hauch einer Schnitte gehabt hätte. Sie war kaum einen Meter sechzig groß, aber sie beherrschte
     die Bar in dem Moment, in dem sie eintrat. Sie hatte nicht nur einen sensationellen Körper, den man in dem Fummel, den sie
     trug, an vielen Stellen deutlich sehen konnte. Sie hatte auch die |217| weißesten und schönsten Zähne, die je in einer Zahnpastareklame zu Berühmtheit gelangt sind, und den strahlendsten Blick,
     der je aus veilchenblauen Augen auf ein männliches Wesen traf. Wäre ich Martins Kardiologe gewesen, hätte ich mir in diesem
     Moment die größten Sorgen um seine Überlebenschancen gemacht. Sein Herzschlag setzte kurz aus, um dann um so heftiger loszulegen
     und gegen die Rippen zu donnern, dass man meinte, man müsse die Schläge noch auf dem Mantelkragen vibrieren sehen. Sie setzte
     sich auf den Barhocker neben Martin, betrachtete das Glas mit dem inzwischen schal gewordenen Bier und sah dann Martin an.
    »Zwei Champagner«, bestellte er, ohne auch nur einen einzigen Lidschlag lang zu zögern.
    Ich saß bei der Tussi inzwischen in der Halsbeuge und genoss den Blick in den Ausschnitt und in ihren Schoß, der von einem
     hauchdünnen Röckchen nur unwesentlich bedeckt wurde.
    »Welchen Wunsch darf ich dir heute erfüllen?«, fragte das Engelwesen.
    Martin stürzte das halbe Glas Schampus in einem Zug runter, nachdem er mit ihr angestoßen hatte.
    »Ich habe einen ausgefallenen Wunsch«, stammelte er. Er musste zweimal ansetzen, bevor er den Satz vollständig und fehlerfrei
     herausbekam.
    »Da hast du Glück«, sagte sie und legte ihre Hand auf Martins. »Ich erfülle heute auch ausgefallene Wünsche.«
    Sie lächelte herzlich. Nicht schabrackig, wie viele andere, nicht geldgeil, nicht müde, nein, sie lächelte herzlich. Fröhlich.
     Strahlend.
    Martin ließ sich Zeit. Vielleicht konnte er auch nicht |218| anders. Vielleicht war er einfach weg aus dieser Welt, gefangen in einer Sphäre, die nicht irdisch war und keiner Zeitrechnung
     unterlag. Jedenfalls sagte er eine Zeit lang nichts, nippte nur am verbliebenen Rest Champagner und starrte das Wesen an.
    »Wie sieht nun dein ausgefallener Wunsch aus?«, fragte sie irgendwann. »Oder möchtest du mir das unter vier Augen erzählen?«
    Ich sah, wie sich in Martins Hirn ein deutliches JA zu formen begann, und schrie: »Stopp!«
    »Was ist denn?«, fragte er mich unwirsch.
    »Wenn du jetzt ja sagst, wird das sehr, sehr teuer«, sagte ich.
    »Hm«, machte Martin.
    »Und denk an Birgit«, schob ich hinterher.
    »Birgit …«
    Ich begriff, dass Martin gar nicht an Sex mit diesem Engelchen gedacht hatte, sondern nur daran, weiter in ihre Augen zu starren
     und mit ihr zu reden. Hey, das Häschen vor dir auf dem Hocker ist eine Nutte. Die will dir einen blasen oder … was auch immer.
     Er schluckte, war plötzlich wieder ganz auf dem Boden der Tatsachen, fragte sich kurz, wie teuer wohl der Champagner sei,
     und sagte seinen Spruch auf: »Ich suche eine Freundin.«
    Er hielt ihr unauffällig die Zeichnung hin, sodass das Engelchen einen Blick darauf werfen konnte.
    »Semira!«
    Sie rief es fast, hielt sich aber schnell die Hand vor den Mund, riss die blauen Augen auf und starrte Martin erschrocken
     an. »Was ist mit ihr? Sie hat unsere Verabredung sausen lassen, das ist gar nicht ihre Art.«
    |219| Martins Herz, das sich gerade erst beruhigt hatte, begann wieder heftiger zu schlagen.
    »Hat sie hier gearbeitet?«, fragte er.
    Die Blonde schüttelte den Kopf. »Sie sind – kein Kunde von ihr?«
    Jetzt schüttelte Martin den Kopf, aber natürlich nicht halb so anmutig.
    »Ist es in Ordnung, wenn wir hier weiterreden?«, fragte er vorsichtig und sah sich um.

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